Konzeption
der Offenen Altenarbeit
in Rüsselsheim
Redebeitrag von Bernd Heyl
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
der Grad der Zivilität und Humanität eines
Gemeinwesens lässt sich daran erkennen, wie es mit den Menschen
und Gruppen umgeht, die keine oder nur eine schwache Lobby haben.
Neben Kindern und Jugendlichen werden auch alte Menschen in unserer
Gesellschaft zunehmend als Kostenfaktor betrachtet. Mit dieser
Sichtweise gehen ein kontinuierliches Absinken des Rentenniveaus,
Einschnitte bei der medizinischen Versorgung und ein öffentliches
Bild einher, das alte Menschen in immer unwürdiger werdenden
Formen als privilegierte Kostgänger der jungen arbeitenden
Generation darstellt. Sicher, es gibt wohlhabende Rentner und
vor allem Rentiers, aber es gibt auch zunehmend mehr alte Menschen,
denen es immer schwerer fällt, mit der rasant sich ändernden
Umwelt fertig zu werden und deren soziale Lage sich dramatisch
verschlechtert.
In dieser allgemeinen Situation hat die Stadt Rüsselsheim
im Rahmen des Haushaltskonsolidierungsprogramms beschlossen, im
Bereich der offenen Altenhilfe bis zum Jahr 2006 143.200 Euro
einzusparen. Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass der Anteil
der Senioren an der Rüsselsheimer Stadtbevölkerung von
19,5% im Jahr 1990 auf 24% im Jahr 2000 angestiegen ist und von
einer weiteren Zunahme ausgegangen werden muss, ist dieses Vorhaben
der Sache nach nicht zu verantworten.
Schon in den vergangenen Jahren war die inhaltliche
Seite der Seniorenarbeit in Rüsselsheim Gegenstand öffentlicher
Debatten und Kritik. Die an Frau Rupflin vergebenen Aufträge
zur Erstellung eines Gutachtens und zur Entwicklung von "Leitlinien
für zeitgemäße Angebote der offenen Altenhilfe"
sollten die Grundlage für eine qualitativ verbesserte Seniorenarbeit
in Rüsselsheim leisten. Die heute zur Abstimmung anstehende
Vorlage zeigt meines Erachtens mehr als deutlich, dass unter Sparzwang
dieses Ziel nicht erreicht werden kann. Vor allem aus dem Kreis
der Senioren geriet die Vorlage in die Kritik. Es wurde festgestellt:
"Die Magistratsvorlage beinhaltet keine Neukonzeption,
sondern präsentiert sich vorwiegend als Zusammenfassung langjährig
bestehender institutioneller Einrichtungen aus dem Wohlfahrtsbereich,
die durch Vernetzung eine schnellere Koordination und Beratungsentlastung
bewirken sollen. ... Die präventive Offene Altenhilfe, die
Selbständigkeit bis ins hohe Alter durch aktive Teilhabe
am täglichen Leben zu fördern, wird einschränkend
verlagert. Vom aktiven zukunftsweisenden politischen Altenkonzept
ist nichts zu finden, ..."
Dieser Einschätzung stimme ich zu, sie verliert
auch dadurch nicht an Aussagekraft, dass die Vorlage sich als
"offen" für weitere Entwicklung versteht. Die Koordinaten
sind festgelegt und zwar bereits im Rahmen der Haushaltskonsolidierung.
Da heißt es zu den Altentagesstätten in den Stadtteilen
lapidar: "Die genannten Einrichtungen werden freien Trägern,
Organisationen, Gruppen aus sozialen Tätigkeitsfeldern zum
Betrieb in Eigenregie und Eigenverantwortung angeboten. Findet
sich kein freier Träger, wird das Angebot eingestellt."
Diese Setzung dürfte auch der Grund dafür
sein, dass die Vorlage "Konzeption der Offenen Altenarbeit
in Rüsselsheim" auf jede konkrete Untersuchung der Rüsselsheimer
Situation und auf eine Bedürfniserhebung unter den Seniorinnen
und Senioren verzichtet. Dies ist auch kein Wunder, denn aufgrund
ihrer doch näher an Rüsselsheimer Realitäten angesiedelten
Analyse kommt Frau Rupflin zu folgendem Schluss:
"Dezentrale Seniorentreffs haben eine wichtige
Kristallisationsfunktion für die wohnortnahe Versorgung älterer
Menschen, denn soziale Kontakte sind die besten Mutmacher. ...
Rüsselsheim (ist) zahlenmäßig mit dem Bestand
an solchen Treffs relativ gut ausgestattet, auch wenn der Versorgungsgrad
von Baden Württemberg nicht erreicht wird. Deshalb empfehle
ich die Treffs zu erhalten, wenn auch ggf. teilweise durch Umwandlung
in die Form von Bürgertreffs" Der letzte Vorschlag erfolgt
im Sinne der fachlichen Stimmen, "die ganz allgemein empfehlen,
Seniorentreffs in Bürgertreffs umzuwandeln."
Diese Empfehlungen sind klar und deutlich, sie finden
in der heute zur Abstimmung anstehenden Vorlage keine angemessene
Berücksichtigung. Gleiches gilt für die Hinweise des
Rupflin-Gutachtens auf Migranten als Zielgruppe der Altenhilfe.
Diese Gruppe hat - so Frau Rupflin - im Jahr 2000 mit 1.327 Personen
"in ihrer absoluten Zahl bereits eine handlungsrelevante
Größe erreicht." Im Jahr 2003 wird ihr erst in
einem eilig nachgereichten Ergänzungsantrag insofern Rechnung
getragen, dass sich das ohnedies völlig mit Aufgaben überfrachtete
"Haus der Senioren" nun auch noch "mit entsprechenden
Angeboten ... gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern
mit Migrationshintergrund und deren Interessen öffnen"
soll.
An dem letztgenannten Punkt wird ein Grundmangel
der Vorlage deutlich: Das zentrale Haus der Senioren wird mit
Aufgaben, Ansprüchen und Funktionen überlastet, die
weder ehrenamtliche noch hauptamtliche Kräfte erfüllen
können. Ich kann einem solchen Konzept nicht zustimmen.
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