Ob in Hessen oder in Rüsselsheim:
Gegen "Kürzen bei den Kurzen"
hilft letztlich nur Druck von unten
Redebeitrag des Stadtverordneten Bernd Heyl (Liste Solidarität)
zum Grundsatzbeschluss zur Sanierung der Eichgrundschule (Stv.
18.09.03)
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
Rüsselsheim erlebte im vergangenen Jahr einen
politisch heißen Sommer. Das vom Magistrat eingebrachte
Konsolidierungsprogramm löste eine Welle von Protesten aus,
in deren Folge vor allem eine Reihe von Sparmaßnahmen im
Bildungs- und Jugendbereich zurückgenommen werden musste.
Was war ursprünglich geplant?
Die Horte sollten geschlossen und die Gruppengrößen
in den Kindertagesstätten erhöht werden. Die Borngrabenschule
sollte auf das Areal der Albrecht-Dürer-Schule verlegt, ihr
jetziges Gebäude abgerissen und das Gelände zum Zwecke
der Wohnbebauung verkauft werden. Das gleiche Schicksal war der
Eichgrundschule bestimmt, die mit der Goetheschule zusammengelegt
werden sollte, um das Gelände am Ostpark ebenfalls verkaufen
zu können.
Diese Planungen zeugten von einer Vorgehensweise,
die weder nach gesellschaftlichen Erfordernissen noch nach den
Interessen von Kindern und Jugendlichen fragt. Sie waren von einer
Philosophie geprägt, die mit unglaublicher Kälte und
Rücksichtslosigkeit alle Lebensbereiche unserer Gesellschaft
dem betriebswirtschaftlichen Kalkül unterordnen will.
Die unterschiedlichen Bedürfnissen Rechnung
tragende Vielfalt pädagogischer Einrichtungen, die Identifikation
und das Gefühl der Geborgenheit ermöglichende Nähe
der Grundschule, der große zum Spielen einladende Schulhof
für besonders bewegungsbedürftige Kinder, die Qualität
der Kitas und Horte oder das Kinderhaus mit seinem auf die Bedürfnisse
der Innenstadtkinder zugeschnittenen Konzept, alles das ist leider
nach wie vor kein wirklicher Wert in den Augen von primär
betriebswirtschaftlich denkenden Bürokraten und Politikern.
In Rüsselsheim stieß und stößt
dieses Politikkonzept auf erheblichen Widerstand. Parallel zur
Debatte um die Haushaltskonsolidierung wurden die Ergebnisse der
internationalen Schulleistungsstudie Pisa veröffentlicht
und in der Bevölkerung setzte sich die Einsicht durch: Deutschland
tut zu wenig für die Bildung. Da passte vieles aus der Drucksache
142 nicht mehr in die Landschaft und löste regelrechten Widerstand
aus. Eine intensive Debatte und drei Bürgerbegehren konnten
zwar nicht alle Sparmaßnahmen im Kinder- und Jugendbereich
verhindern, doch sie brachten schließlich neben einer Reihe
von weiteren Vorhaben auch die geplante Schließung der Eichgrundschule
zu Fall. Nachdem die notwendigen Unterschriften für die Bürgerbegehren
gesammelt waren, mussten der Magistrat und Stadtverordnetenversammlung
den Erhalt der Schule zusichern und Oberbürgermeister Gieltowski
formulierte die Einsicht, dass ihre Schließung politisch
nicht durchsetzbar war.
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
der heute zur Abstimmung stehende Grundsatzbeschluss
zur Eichgrundschule soll die Voraussetzungen dafür schaffen,
dass die Sanierung bzw. der Neubau dieser Schule möglichst
schnell stattfindet. Grundsätzlich bin ich der Auffassung,
dass pädagogische und bildungspolitische Aspekte und Erwägungen
hier den Vorrang bei allen Entscheidungen haben sollten. Wenn
wir also die Auffassung teilen, dass Ganztagsschulen wünschenswert
sind und zumindest in nicht allzu ferner Zukunft eingerichtet
werden sollen, so muss dies bei Sanierung und Neubau der Eichgrundschule
ebenso berücksichtigt werden, wie die Erfordernisse einer
zeitgemäßen Pädagogik, für die z.B. 72 m²
große Klassenräume ein Mindeststandard sind. Der von
SPD, Liste Rüssel, Grünen und FDP vorgelegte Beschlussvorschlag
sieht einen Neubau vor. Dem kann ich zustimmen, wenn auch der
angedachte Verkauf von Schulgelände bei mir keine Freude
hervorruft. Hier muss erst noch geprüft werden, ob und wie
Teile des Geländes sinnvoll abgetrennt werden können.
Trotz des heute anstehenden Beschlusses bleiben aber noch Fragen
offen: Die Diskussion im Schul- und Kulturausschuss offenbarte
die Sorge der Betroffenen, dass immer noch Überlegungen in
einigen Köpfen herumspuken könnten, ggf. über zu
hohe Sanierungskosten, über ein weiter steigendes Haushaltsdefizit
der Stadt oder über den Gewöhnungseffekt ihr ursprüngliches
Ziel, die Schließung der Eichgrundschule, doch noch zu erreichen.
Unbegründet sind diese Befürchtungen nicht.
Landauf, landab gilt heute im Verhältnis von Politik zu Bürgerinnen
und Bürgern das gebrochene Wort.
Da schließt eine hessische Landesregierung
einen Hochschulpakt ab, da verspricht ein Herr Koch vor der Landtagswahl
publikumswirksam, dass es in Hessen keine Sonderopfer für
Beamte geben wird, doch heute werden alle Zusagen über Bord
geworfen und ein brutalst möglicher Sparkurs gefahren. 1998
versprach der damalige noch Ministerpräsident Hessens auf
dem Rüsselsheimer Marktplatz die Wiedereinführung der
Vermögenssteuer, die auch Kochs Haushaltsprobleme zu einem
erheblichen Teil lösen würde. Die Vermögenssteuer
wird aber von Ministerpräsident Koch ebenso abgelehnt wie
von Bundeskanzler Schröder - offenbar haben sie beide die
gleichen Freunde und die Besserverdienenden als Wählerklientel
entdeckt. Für Herrn Eichel gilt aber ebenso wie für
Herrn Koch, dass sie vor einer Wahl gegebene Versprechen nach
der Wahl nicht halten. Die Liste der Beispiele ließe sich
lange fortsetzen und es zeugt vom politischen Sachverstand der
Bürgerinnen und Bürger, dass sie der Politik, welche
Farbe sie auch hat, mit zunehmender Skepsis begegnen.
Wie sieht dies nun mit der Eichgrundschule aus?
Wie viel Sicherheit gibt der heute vorliegende Beschluss den Eltern,
Kindern und Lehrerinnen? Der zuständige Bürgermeister,
Herr Rebenich, hat bei der Verabschiedung von Thomas Will als
Schulverwaltungsamtsleiter öffentlich erklärt, dass
die Schließung und Verlagerung der Eichgrundschule ein richtiges
Konzept gewesen sei. Wenn heute die Liste Rüssel dem Grundsatzbeschluss
zur Eichgrundschule zustimmt, dann tut sie dies wohl kaum aus
besserer Einsicht, sondern eher aus Koalitionsdisziplin. Für
die Zukunft ist also Wachsamkeit angesagt. Es genügt ein
Wink an den RP und im Haushaltsvorbehalt für das Jahr 2004
könnte das Aussetzen der Sanierung der Eichgrundschule gefordert
werden.
Ich bin aber dennoch der Auffassung, dass
der heutige Beschluss Bestand haben kann und wird, denn dem Willen
der politisch Verantwortlichen in Rüsselsheim wird der Rücken
von einer wachen Öffentlichkeit und einer engagierten Interessengemeinschaft
für den Erhalt der Eichgrundschule gestärkt. Die gemeinsamen
Aktionen von Gewerkschaften und aktiven Bürgerinnen und Bürgern
im Sommer vergangenen Jahres haben eine Situation geschaffen,
in der "Kürzen bei den Kurzen" nicht wie geplant
politisch durchsetzbar war. Das Aufrechterhalten dieses politischen
Drucks von unten ist heute letztlich die einzige Sicherheit gegen
eine Sparpolitik auf dem Rücken der Schwachen. Dies gilt
für Rüsselsheim, die Bundespolitik und natürlich
auch für Hessen. Im Sommer 2002 ging es um tiefgreifende
qualitative Einschnitte durch ein kommunales Haushaltskonsolidierungskonzept,
heute gefährdet die Sparpolitik der CDU Landesregierung die
Qualität an Hessens und somit auch an Rüsselsheims Schulen.
Hessen kann von Rüsselsheim lernen, wie mit einer verfehlten
Sparpolitik umzugehen ist. Ich denke, wir stehen vor einem heißen
Herbst.
|