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Redebeitrag
des Stadtverordneten Bernd Heyl zur aktuellen Konsolidierungsdebatte
in der Stadtverordnetensitzung vom 1.4.04
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
die schwierige Haushaltslage der Stadt Rüsselsheim
ist bekannt, und über die Vorschläge, wie sie verbessert
werden kann, gibt es eine intensive öffentliche Debatte.
Im Zuge der Haushaltsberatungen im November und Dezember wurden
zahlreiche so genannte „Sparvorschläge“ entwickelt,
die jetzt in einer interfraktionellen Arbeitsgruppe geprüft
werden. Entgegen demokratischen Gepflogenheiten tagt diese Arbeitsgruppe
nicht öffentlich, ihr jeweiliger Stand der Diskussion unterliegt
der Spekulation und die produzierten Papiere unterliegen ebenso
strengster Geheimhaltung wie vor zwei Jahren die Entwürfe
des so genannten Zukunftssicherungsprogramms. Dieses wie ich meine
alles andere als demokratische Verfahren ist natürlich auch
die Ursache für die große Verunsicherung in der Stadt.
Die Bürgerinnen und Bürger können
sich ebenso wie die Beschäftigten bei der Stadtverwaltung
nur an dem abarbeiten, was vorliegt. Sollen jetzt 30 Millionen
Euro pro Jahr eingespart werden, wie die CDU meint oder 30 Millionen
in drei Jahren bis 2007? Bedeutet der Auftrag, „grundsätzlich
zu prüfen, was künftig die Aufgabe der Stadt bleiben
soll und welche Aufgaben anderen übertragen werden sollen“
und die Aussage: „Die Stadt übernimmt keine Aufgaben,
die auch von Privaten zu angemessenen Bedingungen angeboten werden“
nicht, dass über die Privatisierung erheblicher Teile der
bisherigen Stadtverwaltung nachgedacht wird?
In der Öffentlichkeit wird immer wieder versucht
den Eindruck zu erwecken, dass privatwirtschaftliche Betriebe
effizienter und kostengünstiger arbeiten als öffentliche.
Die Geschichte vergangener Privatisierungen lehrt anderes. Wann
haben sie das letzte Mal um 17 Uhr auf der Rüsselsheimer
Post in der Schlange gestanden? Ich brauche für die Erledigung
meiner Post mehr Zeit als in der Ära der guten alten Bundespost,
denn „mein“ Postamt ist wegrationalisiert. Eine andere
Frage: Haben etwa die Privatisierungen bei Bahn und Müllwirtschaft
dazu geführt, dass der Müll kostengünstiger entsorgt
und Bahnreisen billiger angeboten werden? Ich glaube kaum, und
es zeigt sich: Wenn Teile des öffentlichen Dienstes privatisiert
werden, dann will damit jemand Geld verdienen, das müssen
dann die zum Kunden gewordenen Bürgerinnen und Bürger
bezahlen. Und dieses Mehr an Kosten für die Privathaushalte
wiegt die Effekte der fragwürdigen Steuersenkungspolitik
um ein Vielfaches auf.
Alle wesentlichen Maßnahmen der Konsolidierungsbemühungen
haben ein zentrales Ziel, nämlich die Personalkosten zu senken,
indem entweder durch Privatisierung outgesourct wird oder alle
Bereiche in der Stadtverwaltung einer Stellenprüfung unterzogen
werden, um eine „Stufenweise Reduzierung der Personalkosten“
zu erzielen. Wie auch immer, Personalkostenreduzierung geht nur
auf dem Rücken der Beschäftigten, sei es durch Arbeitsverdichtung,
Arbeitszeitverlängerung oder sei es durch Lohnkürzungen
u.a. dadurch, dass outgesourcte Betriebseinheiten anderen tarifvertraglichen
Bedingungen unterliegen. Dazu kommt natürlich, dass Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer in kleinen Betriebseinheiten gewerkschaftlich
schwerer zu organisieren sind und sich von daher weniger gut zur
Wahrnehmung ihrer Interessen solidarisch zusammenschließen
können.
Der gegenwärtige globale Trend in der privaten
Wirtschaft ist aber weder wünschenswert noch vorbildlich.
Die unregulierte Freisetzung von Markt- und Wettbewerbskräften
ruiniert ganze Gesellschaften in den Ländern des Südens
und auch bei uns führt sie zu einem negativen Wettbewerb
um die niedrigsten Löhne, die längsten Arbeitszeiten.
Und dies ist - Kollege Kleinböhl – genau das zentrale
Ziel neoliberaler Politik: Die Kluft zwischen Arm und Reich soll
vergrößert werden, um so die Wirtschaft zu stimulieren.
Der zentrale Hebel dazu ist für die Verfechter der reinen
Lehre des Neoliberalismus die globale Absenkung der Löhne
und um dies besser durchsetzen zu können, die Privatisierung
möglichst großer Teile des öffentlichen Sektors.
Durch Abbau der sozialen Sicherungssysteme sollen die Menschen
gezwungen werden, Arbeit zu jeder Bedingung anzunehmen. Der Kampf
richtet sich nicht zuletzt in der Agenda 2010 nicht mehr gegen
die Arbeitslosigkeit, sondern gegen die Arbeitslosen, die sich
in einem deregulierten Niedriglohnsektor mit Jobs nach amerikanischem
Vorbild über Wasser halten sollen. Die im Rahmen der Bemühungen
um Haushaltskonsolidierung angedachten „strukturverändernden“
Maßnahmen weisen so ziemlich alle in diese Richtung und
die ist nun wirklich destruktiv. Zur sozialen Abfederung wird
versucht, die angedachte Umstrukturierung so zu organisieren,
dass diejenigen, die jetzt Arbeitsverträge bei der Stadt
haben, in ihren Standards relativ gesichert bleiben und harte
Veränderungen erst dann greifen, wenn Arbeitnehmer in Rente
gehen und durch neue Kräfte ersetzt werden. Doch diese Politik,
die ja in der gesamten Wirtschaft seit mehr als 15 Jahren betrieben
wird, erzeugt die Probleme, die sie zu lösen vorgibt. Die
Nettolöhne sind in Deutschland rückläufig und die
Binnennachfrage stagniert trotz sinkender Sparquote bei Arbeitnehmerhaushalten.
Verödende Innenstädte sind die Folge – nicht nur
in Rüsselsheim.
Gewerkschaften stehen in dieser Situation vor der
schwierigen Frage, ob sie sich auf den Erhalt von immer weniger
werdenden gut bezahlten Arbeitsplätzen auf industriellen
Inseln sowie in verschlankten öffentlichen Einrichtungen
beschränken und tatenlos mit zusehen, wie sich die Lebensqualität
einer immer größer werdenden Zahl von Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmern rapide verschlechtert oder ob sie versuchen,
wie es z.B. der DGB-Vorsitzende Sommer fordert, im Kampf für
den Erhalt einmal errungener sozialer Standards wieder die Meinungsführerschaft
zu bekommen. Am kommenden Wochenende wird sich zeigen, dass diese
Politik, die heute von einer Mehrheit in den Gewerkschaften und
den neuen globalisierungskritischen Bewegungen gemeinsam vorangetrieben
wird, europaweit massenhaft Zustimmung findet. Allein von Rüsselsheim
aus starten sieben Busse, und wenn Sie sich beeilen, bekommen
sie noch einen Platz. An dieser Stelle möchte ich noch einmal
ausdrücklich den Kolleginnen und Kollegen von ver.di für
ihre konstruktive inhaltliche Auseinandersetzung mit den vorliegenden
Konsolidierungsvorschlägen danken. Sie trägt dazu bei,
dass in der Öffentlichkeit mehr und mehr klar wird, auf welch
abschüssiger Bahn wir uns bewegen und dass es jetzt darauf
ankommt, politisch einen anderen Weg einzuschlagen.
Für die hier vorliegende Erklärung bedeutet
dies, dass ich dem ersten, dem zweiten und dem vierten Absatz,
die sich auf die Forderung nach einer Gemeindefinanzreform beziehen,
zustimmen kann. Da der dritte Absatz aber genau den politisch
falschen Weg fokussiert beantrage ich ihn zu streichen. Völlig
inakzeptabel ist der im fünften Absatz implizit zum Ausdruck
kommende Vorwurf, der Personalrat der Stadt und die Gewerkschaft
ver.di würden sich unkonstruktiv verhalten. Um Missverständnissen
vorzubeugen, beantrage ich ihn ebenfalls zu streichen. Damit die
Dramatik der finanzielle Lage der Stadt und die Dringlichkeit
einer ernsthaften Gemeindefinanzreform stärker hervorgehoben
wird, beantrage ich, den ersten Absatz durch die folgende Aussage
aus dem Vorwort des Haushaltsplanes 2004 zu ergänzen:
Diese ist umso notwendiger, als „die Stadt
Rüsselsheim aus eigener Kraft, d.h. durch weitere Leistungskürzungen
gegenüber dem Bürger“ den Haushaltsausgleich nicht
erreichen kann.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, erlauben Sie
mir zum Schluss noch eine kurze Bemerkung zum SPD Ortsvereinsvorsitzenden
Kleinböhl. Dem Rüsselsheimer Lifestylemagazin M55 musste
ich entnehmen, dass es mir offensichtlich in den vergangenen drei
Jahren nicht gelungen ist, ihm grundsätzlich zu erklären,
was denn Neoliberalismus sei. Vielleicht gibt es da ja Denkblockaden,
die meine diesbezüglichen Bemühungen scheitern ließen,
vielleicht drücke ich mich aber auch manchmal zu akademisch
aus. Ich habe mir ernsthaft überlegt, wie ich helfen kann
und bin bei der Suche nach geeignetem Material auf eine kleine
und in gut verständlichem Deutsch verfasste Broschüre
der IGM-Jugend gestoßen, die ich dem Kollegen Kleinböhl
überreichen möchte. Es könnte eine erbauliche Osterlektüre
sein und vielleicht hilft es ja was.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Anhang:
Stellungnahme der Stadtverordnetenversammlung zur
Resolution der Personalversammlung vom 9. März 2004:
„Die Stadtverordnetenversammlung als das von
den Bürgerinnen und Bürgern gewählte Organ unterstützt
auch in Verantwortung für die Haushaltswirtschaft der Stadt
Rüsselsheim die Forderung der Personalversammlung nach einer
Gemeindefinanzreform, die den Städten und Gemeinden eine
verbesserte Finanzausstattung gewährleisten soll. Dies ist
umso notwendiger, als „die Stadt Rüsselsheim aus eigener
Kraft, d.h. durch weitere Leistungskürzungen gegenüber
dem Bürger“ den Haushaltsausgleich nicht erreichen
kann.(Von Soli beantragte Ergänzung, bei einer Stimme dafür
und mehreren Enthaltungen abgelehnt)
Mit der Gemeindefinanzreform soll den Städten
und Gemeinden ihr finanzieller Handlungs- und Gestaltungsraum
zurückgegeben werden, damit sie wieder in die Lage versetzt
werden, die für die Daseinsfürsorge unverzichtbaren
Einrichtungen und Dienstleistungen betreiben zu können.
Unabhängig davon sind jedoch der Magistrat
und die Stadtverordnetenversammlung der Stadt Rüsselsheim
aufgefordert zu überprüfen, welche städtischen
Einrichtungen oder Dienstleistungen in andere Betriebs- oder Organisationsformen,
eventuell auch mit Beteiligung der Nutzer, umgewandelt werden
können. (Der Sol i- Antrag, diesen Absatz zu streichen, wurde
von der Mehrheit der Stadtverordneten abgelehnt)
Die Stadtverordnetenversammlung, die als das verantwortliche
Organ den Haushaltsplan der Stadt erstellt, muss das Ziel haben,
auf Dauer zu deutlichen Haushaltsverbesserungen zu kommen.
Deshalb fordert sie auch die Personalversammlung
der Stadt Rüsselsheim und die Gewerkschaft „ver.di“
zu einer konstruktiven Mitarbeit und Unterstützung auf. (Der
Sol i- Antrag, diesen Absatz zu streichen, wurde von der Mehrheit
der Stadtverordneten abgelehnt)
Dem Gesamttext wurde bei einer Gegenstimme (Liste
Solidarität) und einigen Enthaltungen von der Mehrheit der
Stadtverordneten zugestimmt.
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