Offener Brief der Fraktion Die Linke/Liste Solidarität
vom 28.03.2007
Arme Kinder
Kinderarmut und Bildungsgerechtigkeit
Die Februarausgabe der Zeitschrift "Grundschule Aktuell" beschäftigt sich mit dem Thema "Arme Kinder. Kinderarmut und Bildungsgerechtigkeit". Die Fraktion Die Linke/Liste Solidarität hat dies zum Anlass genommen, an alle Stadtverordneten und Magistratsmitglieder ein Exemplar dieser Zeitschrift gemeinsam mit folgendem offenen Brief zu verteilen:
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An die Damen und Herren Stadtverordnete,
an die Dame und die Herren des Magistrates,
lang war die zunehmende Armut in Deutschland ein Tabuthema, doch nicht erst seit der Studie der Friedrich Ebert Stiftung über eine angeblich neue „Unterschicht“ ist der Bann gebrochen und das Thema Gegenstand öffentlicher Debatten. Ein wichtiger Teilaspekt ist in diesem Zusammenhang die Kinderarmut. Kritische Stimmen haben schon lange versucht dieses Thema auch in Rüsselsheim ins öffentliche Bewusstsein zu heben, allerdings bislang mit wenig Erfolg. Ein Armutsbericht ist ebenso überfällig wie ein Konzept zur Armutsprävention.
Es stellt sich die Frage, was ist an dem Thema so schwierig, so sperrig, dass es massiv Abwehr hervorruft? Verschiedene Antworten sind denkbar:
- Diejenigen, die für Hartz IV politisch mitverantwortlich
sind, wollen nicht zugeben, dass in Folge eben dieser
Gesetzgebung Kinderarmut in Hessen um 39%
zugenommen hat, ein Prozentsatz, der in Rüsselsheim
sicher überschritten wird.
- Rüsselsheim 2020 erhebt die Forderung, das Stadtimage
aufzupolieren; da passt eine Debatte über Armut nicht ins
Konzept.
- Das Eingeständnis, dass zunehmende Armut und
Kinderarmut auch und gerade in Rüsselsheim ein Problem
sind, hätte zur Folge, dass über präventive und
kompensatorische Maßnahmen nachgedacht werden
müsste. Dies schließt die Bereitschaft ein, ggf. auch
zusätzliche Mittel zur Verfügung zu stellen.
- Wenn von Armut gesprochen wird, existieren in den
Köpfen Bilder von absoluter Armut in den Ländern des
Südens. Armut in Deutschland hat aber ein anderes
Gesicht. Man kann sie nur erkennen, wenn man die
Differenz auslotet zwischen den durchschnittlichen
Lebensbedingungen und denen der Menschen, die an
oder unter der offiziellen Armutsgrenze (nach dem II.
Armutsbericht der Bundesregierung 938 Euro für
alleinstehende) leben. (Hartz IV Empfängern steht
allerdings nur ein Regelsatz von 345 Euro plus Wohngeld
zu.) Bei Kindern ist neben mangelnder Kleidung, dem
Mangel an häuslichen Arbeitsmöglichkeiten, mangelnder
oder falscher Ernährung auch eingeschränkte
Chancengleichheit für Bildung ein Armutsindikator. Dies
sieht man aber nur, wenn man es sehen will.
Dies sind nur einige Punkte, und wahrscheinlich wirken sie meist zusammen.
Ergebnis einer vom Aktionsbündnis gegen Sozialabbau veranstalteten Tagung ist unter anderem die derzeitige intensive inhaltliche öffentliche Debatte zum Thema. Aus den Reihen der Stadtverordneten kamen hier zum Teil wenig hilfreiche Beiträge. Wer sich zum Thema äußert, sollte aber informiert sein und nicht nur auf der Basis persönlich erlebter Einzelfälle urteilen.
Bereits im Jahr 2002 erschien ein Themenheft der renommierten Fachzeitschrift „Pädagogik“ mit dem Schwerpunkt „Armut in der Schule“. In ihrer Ausgabe Februar 2007 setzt sich die Zeitschrift „Grundschule aktuell“ mit dem Thema „Arme Kinder. Kinderarmut und Bildungsgerechtigkeit“ auseinander. Hier wird einerseits aktuelles empirisches Material aufbereitet und andererseits werden Konzepte und Vorschläge für das Bildungs- und Sozialwesen unterbreitet, die den Anspruch erheben, für mehr Chancengleichheit armer Kinder im Bildungswesen zu sorgen.
Auch wenn wir nicht alle Vorschläge und Einschätzungen im einzelnen Teilen, so sehen wir doch in diesem Heft eine fundierte Anregung für eine vorwärtsgewandte Diskussion. Wir möchten Ihnen dieses Heft zur gründlichen Lektüre empfehlen und hoffen auf eine produktive und sachliche Fortsetzung der Debatte.
Ihre Fraktion „Die Linke/Liste Solidarität“
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