Offener Brief von Heinz-Jürgen Krug an Steffen Jobst
zum Artikel „Die ganze Wahrheit“ in M55 1/09
Rüsselsheim, 29.12.2008
Hallo Steffen Jobst,
du schreibst in M55 1/09 unter der Überschrift „Die ganze Wahrheit“ nach einer Darstellung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts vom 27.4.2007 zum NPD Aufmarsch auf dem Lassalleeplatz am 1. Mai 2007 und nach einem ausführlichen Zitat der NPD-eigenen Darstellung:
"Dazu schweigen die Linken" .
Und nochmal bekräftigt: "Alle Linken in Rüsselsheim haben vom Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs gewusst. Doch alle haben dazu geschwiegen."
und "... wird im Rüsselsheimer Parlament ein SPD Oberbürgermeister nicht mal dazu befragt ..."
Wir Linken von die Linke/Liste Solidarität haben im Ramsee (dem Wohnviertel durch das die NPD dann zog) vor dem 1. Mai unsere Zeitung "Die neuen Nazis sind die alten!" verteilt.
Linke haben am 1. Mai am und um den Lassalleplatz demonstriert und blockiert.
Die Linken haben im DGB natürlich auch über dessen Vorgehen diskutiert. Du hättest davon Kenntnis nehmen können, z.B. bei der DGB-Nachbetrachtung am 19. Juni 2007.
Wir Linken haben mit dem Rüsselsheimer Bündnis gegen Rechts und der Frankfurter Antifa über unterschiedliche Vorgehensweisen beim Widerstand gegen Nazis diskutiert.
Wir haben im Juni 2007 ins Rüsselsheimer Parlament eine 17-teilige Anfrage (initiiert von der Antifa Rüsselsheim) zu den Ereignissen und zu den Schlussfolgerungen eingebracht.
Die hast du auf jeden Fall damals zur Kenntnis genommen, da sie für dich der Anlass war, zu fragen, ob wir nicht eine gemeinsame Veranstaltung zu dem Thema machen könnten.
Die Linken (also wir von Die Linke/Liste Solidarität) haben dann zwei Veranstaltungen organisiert. Die erste Anfang Juli speziell zum 1. Mai in Rüsselsheim und zu den Demonstrationen beim G8 Gipfel, die zweite im November 2007 mit Rolf Gössner zum Thema Überwachungsstaat und Meinungsfreiheit. Bei beiden ließt du dich/M55 als Mitveranstalter nennen. Bei beiden hast du es allerdings nicht geschafft, sie in M55 anzukündigen. Bei beiden hast du dich an den Vorbereitungen fast nicht bzw. gar nicht beteiligt. Bei der ersten warst du dann immerhin als Diskussionsleiter noch im Einsatz, bei der zweiten hast du dich überhaupt nicht blicken lassen.
Die Linken haben gegen den Republikaner-Auftritt im Oktober 2007 argumentiert und mobilisiert.
Die Linken haben gegen den (dann unterbliebenen) NPD-Auftritt im Dicken Busch im Januar 2008 argumentiert und mobilisiert.
Dein Satire-Versuch (mit der unsäglichen Bezeichnung des Antifaschisten Peter-Christian Walther als stets kooperativen "Führer der linken Gegenbewegung") erschien übrigens erst in der Novemberausgabe von M55, entgegen dem Eindruck, den du in deinem jetzigen Artikel zu erwecken versuchst, als habest du ihn in unmittelbarer Empörung (und im pluralis majestatis) nach dem 1. Mai geschrieben ("wir machen daraufhin die bekannte Satire").
Und die Linke/Liste Solidarität hat am 4.1.2008 in einer Presseerklärung gegen die Unterlassungsklage des Magistrats gegen dich protestiert:
* * * Zitat aus der Presseerklärung * * *
Gestörtes Verhältnis zu kritischer Öffentlichkeit
Scharf kritisiert die Wahlinitiative „Die Linke/Liste Solidarität“ den Umgang des Magistrates mit kritischen Positionen. Seit dem NPD Auftritt am ersten Mai gibt es in Rüsselsheim eine verstärkte Debatte um die Frage, wie Stadt und Öffentlichkeit auf rechtsextreme Aktivitäten reagieren sollen. Dabei wird immer wieder kritisch hinterfragt, ob der Magistrat einerseits alle Möglichkeiten ausgeschöpft hat, den NPD-Aufmarsch zu verhindern und ob andererseits der nötige politische Wille vorhanden war. Nach wie vor verharmlost OB Gieltowski die Gefahr rechten Denkens, indem er den Rechtsradikalismus zu einem für Rüsselsheim nicht relevanten Randproblem erklärt. Und SPD und Grüne setzen diese fatale Ignoranz in Politik um, indem sie Anträge des Ausländerbeirates und der Wahlinitiative „Die Linke/Liste Solidarität“ auf verstärkte Förderung antifaschistischer Jugendarbeit ablehnen. Es gibt also genug Grund, sich mit der Politik des Magistrates - auch satirisch – auseinander zu setzen. Über die Qualität von Steffen Jobsts M55 kann man streiten, unbestritten sollte aber unter Demokraten das Recht der Satire sein, durch Überspitzung auf Missstände aufmerksam zu machen. Einer dieser Missstände ist zweifelsohne auch die fehlende Sensibilität seitens des Magistrates für den Stellenwert, den rechtsextreme Gruppen symbolischen Orten, wie etwa dem in der NS Zeit in Adolf-Hitler-Platz umbenannten Lassalle-Platz zumessen. Kluge Politiker/innen nutzen Satire um ihr Handeln kritisch zu hinterfragen, wer mit Ordnungsgeld oder Ordnungshaft wegen missliebiger Äußerungen droht, zeigt nur, wie wenig souverän er in der Sache ist.
* * * Zitatende * * *
Zu all dem nun Jobst in M55 "Und auch nachdem mit der Unterlassungsklage ein schwerer Eingriff in die Meinungsfreiheit erfolgt war, hat keiner die wahren Umstände thematisiert" .
Ist das bei dir jetzt beginnende Altersdemenz oder ersetzt du nur "die ganze Wahrheit“, wenn sie dir politisch nicht in den Kram passt, durch die brutalstmögliche Wahrheitsunterdrückung?
Völlig hochachtungslos
Heinz-Jürgen Krug
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