Die Linke/Liste Solidarität Rüsselsheim — www.liste-solidaritaet.de
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Redebeitrag:
Karl–Heinz Schneckenberger, Fraktionsvorsitzender
der Fraktion Die Linke/Liste Solidarität, auf der Stadtverordnetenversammlung am 19.06.2008

Sehr geehrte Damen und Herren,

außer Frage steht, dass das OpelForum(OF) die Rüsselsheimer Innenstadt verändern wird. Die Frage ist allerdings, wohin wird sich die Innenstadt verändern.
Wird das OF der Rettungsanker oder das Grab für die Innenstadt sein?

Will man ein Projekt wie das OF realisieren, muss dafür das Feld bereitet werden, um es problemlos und kritiklos umsetzen zu können. Daran haben Opel, Investor, Herr Rürup und die politisch Verantwortlichen fleißig gearbeitet.
Keine Gelegenheit wurde ausgelassen, die Innenstadt schlecht zu reden, schlechter, als sie in Wirklichkeit ist.
Denn es gibt sie noch, und die Betonung liegt auf noch, die Fachgeschäfte in Rüsselsheim:
- Foto Studio Alberti
- Citiparfümerie
- Fachgeschäfte für Bekleidung, wie die Firmen
  Hartmann und Junginger und diverse Boutiken
- es gibt das Lederfachgeschäft Lang
- mehrere Optikergeschäfte
- mehrere Fachgeschäfte für Schuhe
- das Reisebüro Rhein-Main
- den Juwelier Weiss
- das Buchhaus Jansen
- Fachgeschäfte für Radfahrer
- Büro Emig
- Zigarren Kraft
- Süßwaren Hussel
- ein Reformhaus
- sowie zahlreiche Geschäfte für den täglichen Bedarf

Aber natürlich ist die Situation in der Innenstadt unbefriedigend - Karstadt, Mainblock, 99 Cent-Läden, Leerstände, Umsatzrückgänge - das ist alles bekannt.
Man versucht den Eindruck zu erwecken, dies sei ein       spezielles Rüsselsheimer Problem, wohl wissend, dass der Einzelhandel in allen Innenstädten Probleme hat.
Von 1996-2005 sind die Einzelhandelsumsätze um 6% gesunken.
Die Einkaufszentren (EKZ) auf der grünen Wiese haben die Innenstädte ausgezehrt.
Die Konsumneigung der Bevölkerung hat, durch starke finanzielle Belastungen weiter Kreise, generell nachgelassen.
Die Mentalität des Werbeslogans “Geiz ist geil” stellt viele Fachgeschäfte vor Probleme.

Aber auch der viel beschworene Standortvorteil Rüsselheims
wird zum Standortnachteil, wenn es ums Einkaufen geht.
Die Rüsselsheimer Innenstadt konnte noch nie mit den Innenstädten der umliegenden Großstädten DA, MZ, WBN und FFM konkurrieren und wird es auch oder erst recht mit dem OF nicht können.

Was haben nun die Verantwortlichen in den vergangenen Jahren getan, um die Situation zu verbessern?
Viel fällt dem Betrachter dazu nicht ein:
- schlaffe Verhandlungen mit den Karstadt-Eigentümern
- ein neuer Bahnhofsvorplatz
- ein vom Land initiiertes Fassadenprogramm
- 100000 € Zuschuss für den Treffpunkt Innenstadt

Statt die grundsätzlichen Probleme energisch anzupacken, wurde mit Kleinigkeiten versucht, Handlungsfähigkeit zu dokumentieren.
Statt die Innenstadt zu stärken, wurde das EKZ Alzeyer Straße zugelassen, was nach dem damaligen Einzelhandelsgutachten der Innenstadt 10% Kaufkraft-
Verlust beschert.

Womit wir bei der Rolle der Firma Opel wären und der Frage, wer plant überhaupt in Rüsselsheim ?

Der massivste Tiefschlag für die Innenstadt in den letzten Jahren war zweifelsohne die Verlagerung der Opel-Verwaltung an den Rugbyring.
Erinnern wir uns einmal zurück. In der Mittagspause und nach Arbeitsende war die Innenstadt bevölkert von Opelanern, die ihre Erledigungen und Einkäufe machten.
Das ist passé.
Opel mietet im OF wohl wieder Bürofläche an, aber die Angestellten brauchen dann das Areal nicht mehr zu verlassen. Es gibt alles im Opelareal- sogar den Grünbereich, um in der Sonne zu sitzen.

2. Punkt Alzeyer Straße
Opel wollte seine Wohnheime abstoßen und führte zu diesem Zweck einen Investorenwettbewerb durch. Der ausgesuchte Investor bescherte uns Kaufland, OBI und Burger King mit den bekannten nachteiligen Auswirkungen auf die Innenstadt. Die Stadt war dabei Zuschauer und schuf brav das notwendige Planungsrecht.

3. Punkt OpelForum
Auch hier ein ähnliches Szenario.
Opel will das nicht mehr benötigte Altareal abstoßen, führt einen Investorenwettbewerb durch, bei dem 6 Investoren in die engere Auswahl kamen. Über die Gründe, warum letztendlich Apellas Bauwert den Zuschlag erhielt, kann man nur mutmaßen. Sie bleiben das Geheimnis von Opel und Stadtverantwortlichen.

Die Öffentlichkeit wurde weder über die verschiedenen Konzepte, vielleicht besseren Konzepte ohne den Klotz EKZ, informiert und schon gar nicht wollte man eine öffentliche Diskussion über die verschiedenen Möglichkeiten.
Die politisch Verantwortlichen nickten alles ab und schaffen den rechtlichen Rahmen für die profitorientierten Interessen des Investors.

Offensichtlich bestimmen die wirtschaftlichen Interessen der Opels das planerische Geschehen in Rüsselsheim.
Die Firma Opel braucht das Wort “Standortfrage” gar nicht zu Ende zu sprechen, da bekommen die politisch Verantwortlichen schon weiche Knie und werden zu willigen Erfüllungsgehilfen.
Nun könnte man sagen, das war schon immer so in Rüsselsheim. Aber noch nie haben die Planungen von Opel solch negative Auswirkungen nach sich gezogen.
Und das vor dem Hintergrund, dass Opel seit Jahren keine Steuern zahlt und auch nicht absehbar ist, wenn das wieder geschieht.
Bleibt abzuwarten, wie “kulant” sich Opel verhält, wenn die Stadt die Grundstücke für die Erschließungsstraße erwerben muss.

Nachdem in Rüsselsheim ein Klima geschaffen wurde, vor allem auch mit Rürup 2020, wo jeder denkt:
Der Innenstadt geht es so schlecht, wenn jetzt nichts passiert, ist alles zu Ende.Hoffentlich wird uns bald geholfen!       
Da ist der Zeitpunkt gekommen für den Auftritt des Investors - der Helfer, der alles zum Guten wendet, die letzte Rettung sozusagen.
Uns wird erzählt, dass Rüsselsheim froh sein muss, dass er überhaupt investiert, und dann noch 240 Mill. Euro.
Wenn wir ihn vergraulen, ist es vorbei mit der Rettung !
Da muss die Stadt  schon mal einige Zugeständnisse machen.

Auf dem so genannten Bürgerforum, eine zur Werbeveranstaltung degenerierten Bürgerinformation, behaupten eingekaufte Fachleute wie Herr Doerr :
- OF, die einmalige Chance für Rüsselsheim
- wenn alle gemeinsam, Investor, Stadt, Eigentümer und
   Einzelhändler an einem Strang ziehen, wird auch die          
   restliche Innenstadt wieder in neuem Glanz erstrahlen.
Gleichzeitig schreibt er in dem Buch “Angriff auf die City” z.B. “Alles ist darauf ausgerichtet, dass das Shopping Center
autark alle Bedürfnisse seiner Besucher umfassend      abdecken kann. Anbindungen an die gewachsenen     Fußgängerzonen haben eher die Funktion eines    Notausgangs.”
Und weiter:
“Die erschreckenden Folgen für die gewachsenen Innenstädte sind leider inzwischen in einer Reihe von Städten für jeden klar zu erkennen: Außerhalb des EKZ gehen Frequenz und Umsätze drastisch zurück.”

Herr Doerr schreibt weiter:
“Je kleiner und einzelhandelsmäßig schwächer die Stadt, desto eher erreichen eben auch die Wirkungen aus Umsatzverlagerungen einen nachhaltigen und unvertretbar schädlichen Umfang.”

Davon hat er allerdings in Rüsselsheim nichts erzählt, denn hier wird ja alles anders. Das OF und der Oldtimer Schwer-  punkt ist ja angeblich einmalig weit und breit.
Das mag in den Wünschen der Verantwortlichen so sein, die Realität sieht allerdings anders aus. Im Kampf der Gemeinden gegeneinander ist das Umland nicht untätig.
                                        
So entstehen z. B. im Umland folgende EKZ oder werden erweitert:
- EKZ Bischofsheim Erweiterung um 7 300 qm Verkaufsfläche
- Flörsheim - neues EKZ                   10 000 qm VKF
- Groß-Gerau - neues EKZ eröffnet  20 000 qm VKF
- Weiterstadt - Erweiterung um       56 000 qm VKF
- Wiesbaden - Lilien Carré am Bahnhof           26 000 qm VKF
                        auf dem ehem. Hertie Gelände 20 000qm VKF
- Hochheim - neues EKZ                          16 000 qm VKF
- Main-Taunus-Zentrum - Erweiterung   12 000qm VKF
- Kelkheim- neues EKZ                             17 500qm VKF
- Flughafen - hier entsteht eine Einkaufsstadt mit einer
                        Investitionssumme von 1.8 Mrd.

Und 2009 wird in der ehemaligen Landmaschinenfabrik Mayfarth in Frankfurt auf 16 000qm eine Erlebniswelt für Oldtimerfans eröffnet.
In keiner deutschen Stadt steigt die Kaufkraft bzw. die Anzahl der Käufer so, dass ein EKZ notwendig ist.
Die Folge : ein umsatzbezogener Verdrängungswettbewerb.
Fachleute gehen davon aus, dass in Städten mit 100 000 Einwohnern ein EKZ maximal 5-7 000qm Verkaufsfläche haben darf, ohne dass es einschneidende, negative Auswirkungen auf die umliegende Innenstadt hat.
Bei Städten mit 500 000 - 1 Mill. EW. Liegt diese Richtzahl bei 12 - 20 000qm VKF.

In Rüsselsheim mit seinen kapp 60 000 Einwohnern soll nun ein EKZ mit 29 500qm VKF entstehen.
Wen wundert es angesichts dieser Zahlen, dass in dem Einzelhandelsgutachten zum OF für die Innenstadt ein Umsatzverlust von 20 % prognostiziert wird ? Das sind 12 Mill. Euro von 48 Mill., nach der günstigsten Variante !         Es kann also auch noch viel schlimmer kommen.
In den Bereichen Kleidung, Schuhe, Bücher  liegen die Werte noch weit darüber.
Bei solchen Aussichten steht jeder Einzelhändler in der Innenstadt vor der Frage, gehe ich in das OF oder riskiere ich die Pleite. Mittlerweile wirbt der Investor ja auch schon massiv in Geschäften und Gaststätten für einen Umzug ins OF.

Im Einzelhandelsgutachten, das wohlgemerkt der Investor in Auftrag gegeben hat und bezahlt, stellen sich die Auswirkungen so dar :
“… städtebauliche Auswirkungen sind in der Regel ab einer Umverteilungsquote von 10 % nicht ausgeschlossen. “
oder
“Im ungünstigsten Fall, könnte es zu erheblichen Schäden an der Stadtstruktur kommen.”
oder
“In der Konsequenz wäre auf Grund sinkender Mieterträge und mangelnder Nachmietungsperspektiven damit zu rechnen, dass punktuell gar nicht mehr in den Immobilien-
bestand investiert wird und auf diese Weise Verwahrlosungstendenzen eintreten könnten. Diese könnten um so stärker ausfallen, je weiter entfernt die jeweiligen Immobilien vom OF liegen.”

Wir teilen diese Feststellungen und glauben nicht daran, dass sich dadurch etwas ändert, dass die Verantwortlichen
- das alte graue Pflaster in der Markt- und Bahnhofsstraße    
   durch neues graues Pflaster ersetzen
- das einige Fassaden angestrichen werden
-  man einen neuen Springbrunnen installiert
oder
-  2/3 der Bäume auf dem Marktplatz und dem Kirchvorplatz
    umgehauen werden.

Wir befürchten, dass das OF die zukünftige Rüsselsheimer Innenstadt sein wird
- eine Innenstadt die privatisiert ist
- eine Innenstadt, in der lebendiges Stadtgeschehen nicht
   mehr stattfindet, sondern gespielt und inszeniert wird
-  in der lebendiges Stadtgeschehen auf einkaufen reduziert
   wird - für diejenigen, die es sich leisten können.

Weiter befürchten wir eine massive Verkehrsbelastung, vor allem des Westendes durch die 20 000 Besucher täglich und den Andienungsverkehr.
Deshalb auch unser Antrag, die Zufahrt in der Verlängerung der Ludwigstraße für PKW und LKW zu streichen.
Die Zufahrt dient in erster Linie der Andienung der 100 Geschäfte. Nach dem Verkehrsgutachten ist mit einer Belastung von 200 LKW-Fahrten von über 3,5 t täglich zu rechnen.
Dies ist eine unzumutbare Belastung für die Ludwigstraße, die Innenstadt und die anliegende Grundschule.
Die Andienung muss natürlich über die Süderschließung, dem Hauptzugang zum OF, erfolgen.

Dank ihres wohlwollenden Beschlusses gehört das OF stellplatzsatzungsmäßig ja nicht zur Innenstadt. Das heißt,
der Investor zahlt statt 5 000 Euro für das Ablösen eines Parkplatzes nur 2 500 Euro.
Die Diskussion darum hätten wir uns allerdings sparen können, denn wie zu erwarten war, hat die Stadtplanung so lange gerechnet, bis die vom Investor geplante Zahl der Parkplätze ausreicht.
Der Gutachter hatte damit Schwierigkeiten.
Trotz aller Möglichkeiten wahrnehmend, den Stellplatzbedarf klein zu rechnen, kam er auf einen Fehlbedarf von 210 Parkplätzen.
Da wird von den Verantwortlichen der Stellplatzschlüssel einfach von einem  Stellplatz pro 30 qm VKF auf 50qm VKF erhöht, und schon stimmt die Rechnung.
Dieser Schlüssel entspricht nach unserer Satzung “Geschäftshäusern mit geringem Besucherverkehr” - und das bei wohlgemerkt 20 000 Besuchern täglich.
Sollte sich in der Praxis herausstellen, dass die Zahl der Parkplätze nicht ausreicht und ein Parkhaus oder Parkdeck außerhalb erstellt werden muss, ist die Stadt finanziell gefordert ohne je einen Cent an Ablöse erhalten zu haben.

Wir befürchten weiter,
Dass auf die Stadt finanzielle Belastungen zukommen werden, die sie in keinster Weise schultern kann.
Allein für die südliche Erschließungsstraße mit Unterführung entstehen Kosten nach Layer von 25 Mill. Euro, andere Schätzungen gehen von 30 bis 40 Mill. aus.
 Generell stellt sich die Frage, wieso muss die Stadt für die gesamten Kosten aufkommen ?
Bei jeder normalen Baulandumlegung werden Flächenbeiträge von den Eigentümern verlangt für die benötigten Öffentlichen Flächen. Jeder Eigentümer muss Erschließungsbeiträge u.a. für den Straßenbau zahlen.
Das “Schmücken der Innenstadt”, wie Herr Doerr sich ausdrückte kostet 4 Mill. Euro.

Und das wird nicht das Ende der Fahnenstange sein.
Wenn das vorher beschriebene Szenario in der Innenstadt eintritt, werden von allen Seiten Forderungen an die Stadt erfolgen, “Geld in die Hand zu nehmen”.
Sollte die Vermarktung nicht so verlaufen, wie der Investor es sich vorstellt, werden Forderungen auch von dieser Seite kommen, mit dem Ziel, städtische Einrichtungen in das Opelareal zu verlagern.

Was soll bei dem Ausmaß an Belastungen noch übrig bleiben für so wichtige Bereiche wie Soziales, Kultur, Stadtteile und Sport?
Herr Dreiseitel wimmelt ja jetzt schon Beträge von wenigen tausend Euro ab mit dem Hinweis, dass es sich um freiwillige Ausgaben handelt, die der Haushalt nicht zulässt.

Politisch Verantwortliche lieben große, schnelle Lösungen, um darzustellen, wie handlungsfähig sie sind.
Alternativen zum EKZ OF sind denkbar. Es gab Investoren, die ohne den Klotz EKZ das Altareal entwickeln wollten.
Hätte der Magistrat soviel Energie investiert und so viel finanzielle Mittel bereit gestellt, wie er es jetzt tut, um die  Innenstadt kleinteilig und sukzessive zu entwickeln, wäre nicht nur ein OF, sondern ein EKZ Innenstadt möglich gewesen.

Aber dafür ein Konzept erstellen zu lassen, hielt man für unnötig, ebenso wie die Suche nach Alternativen, wohl wissend, was auf die Stadt zukommt.
Die nachteiligen Folgen nimmt man billigend in Kauf.

Ich bin in Rüsselsheim geboren und habe die Sonntage in meiner Jugend rundendrehend auf der so genannten  “Idiotenbahn” verbracht. Sie können mir glauben, dass ich mir für die Innenstadt nichts mehr wünsche, als dass unsere Befürchtungen nicht eintreten.
Allerdings habe ich wenig Hoffnung, dass dies geschieht.
Die Fakten sprechen eine andere Sprache !

 

 

   
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