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Stellungnahme/Leserinnenbrief vom 19.02.2010:

Zum Rüsselsheimer Waldbesetzerinnen-Prozess am 17.02.2010 in Rüsselsheim schrieb Regina Sigmund

Hausfriedensbruch ist ein Antragsdelikt. Im vorliegenden Fall wird eine Besetzerin des Kelsterbacher Waldes auf Antrag der Fraport strafrechtlich wegen Hausfriedensbruchs belangt, weil sie sich um die Aufforderung, „deren“ befriedetes Besitztum zu verlassen, nicht scherte. Hier steht eine (noch) ungebrochene Frau stellvertretend für die Gegner des Flughafenausbaus vor dem Gericht. Verteidigt sie nicht gerade Demokratie und Frieden?

Ein politischer Prozess also. Ein politischer Prozess vor dem Amtsgericht Rüsselsheim. Hier wird wegen der Überschaubarkeit des beteiligten Personenkreises alltägliche Kollegialität zwischen Anklagebehörde und Gericht gepflegt. Demgegenüber steht die Angeklagte. Was sind die Rollen der Staatsgewalt und des Volkes im politischen Prozess? Es gilt, Öffentlichkeit, Gegenöffentlichkeit, herzustellen.

Politische Prozesse sind geprägt durch lange Statements der Angeklagten, Durcheinanderreden, Schreien, Tumulte. Stuttgart-Stammheim 1975: Erst der 85. Befangenheitsantrag des damaligen Verteidigers Otto Schily brachte den  in den dortigen RAF-Verfahren eingesetzten Vorsitzenden Richter Theodor Prinzing zu Fall.

In Rüsselsheim hat die Angeklagte erst fünf Anträge gestellt, alle von der Staatsanwaltschaft abgelehnt. Das Strafgericht hat indes eine Eskalation provoziert. Es wurde der kleine Verhandlungssaal ausgesucht. Die Öffentlichkeit hielt mit Argumenten und Konfetti dagegen. Sie erreichte damit nicht, dass in den größeren regulären Saal umgezogen wurde, was vernünftig gewesen wäre, sondern vielmehr den Ausschluss der Öffentlichkeit aus der Verhandlung. Der Saal wurde gewaltsam von der Exekutiven geräumt.

Die Ausgeschlossenen lärmten außerhalb des Gerichtssaals, die Polizei verhaftet eine „Randaliererin“, es kam zur Sitzblockade des Polizeiautos. Erinnerungen an die Räumung des Widerstandsdorfes im Kelsterbacher Wald und die Räumung des Hüttendorfes an der Startbahn West kamen beim Lesen des Artikels auf.

Ach ja,  Startbahn West.  Ein Mann namens Holger Börner, damaliger Ministerpräsident Hessens, versprach seinerzeit, dass kein Baum mehr dem Flughafenausbau geopfert werden würde. Das Versprechen wurde nicht gehalten. Nicht gehaltene Versprechen stören auch nach fast drei Jahrzehnten noch den Frieden. Ein Mann namens Roland Koch, heutiger Ministerpräsident Hessens, versprach das Nachtflugverbot und erwies sich ebenfalls als Versprechensbrecher. Er wurde abgewählt und regiert trotzdem noch.

Es ist nicht zu tadeln, wenn der Mensch sich gegen Machtmissbrauch zu schützen und zu wehren versucht. Außerparlamentarischer Widerstand ist die Anklage gegen den Staat und eine Pflicht der politisch bewussten Bevölkerung.

Die ausgeschlossene Öffentlichkeit brachte der tapferen Streiterin durch das Stören des gerichtlichen Vorgehens die ihr gebührende Wertschätzung entgegen. Der Erfolg lag in der Aussetzung des Verfahrens. Die Bestrafung des Widerstandes erfüllt schon gar nicht den Schutzzweck des § 123 StGB.

Ich fordere die Fraport auf, den Strafantrag derweil zurück zu nehmen.

Regina Sigmund
Semmelweisweg 10, D-65428 Rüsselsheim
Tel.: 49 (0) 6142/504090, Fax: 49 (0) 6142/14663
Rechtsanwältin, Fachanwältin für Arbeitsrecht, Personalkauffrau

 

 

   
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