Presseerklärung vom 06.02.2011:
Sevim Dagdelen: Klaus Franz verpasst, Sympathien und Mitglieder für die Linke gewonnen
Das angekündigte Gespräch der Bochumer linken Bundestagsabgeordeneten Sevim Dagdelen mit dem Opel Gesamtbetriebsratsvorsitzenden Klaus Franz konnte am Donnerstag zwar nicht stattfinden. Der Grund dafür war für Heinz-Jürgen Krug von den gastgebenden Organisationen DIE LINKE und Linke/Liste Solidarität bei der Veranstaltung „'Wutbürger' gegen autoritären Kapitalismus - die Zukunft der Demokratie?" mit Sevim Dagdelen allerdings ein geeigneter Aufhänger für das Thema des Abends. Dagdelen saß im Kölner Hauptbahnhof fast drei Stunden wegen eines technischen Defektes der Bundesbahn fest. Für die Linken, die seit Jahren die geplante Börsenprivatisierung der Bahn kritisieren, ist die Verschlechterung des Service, die Ausdünnung des Netzes und die Häufung technischer Defekte eine Folge der Ausrichtung der Bahn auf Profitmaximierung und, wie bei allen Privatisierungen öffentlicher Aufgaben, des Verlustes demokratischer Einflussmöglichkeiten.
In seiner Einleitung ging Krug vor etwa 30 Besucherinnen und Besuchern zunächst auf die kommunale Bilanz der Linken/Liste Solidarität ein. Erfolge wie die Verhinderung der Teilprivatisierung der Stadtwerke, die Ausweitung der Schulsozialarbeit, die höheren Zuschüsse für Schulmittagessen, die verhinderte millionenschwere Neupflasterung der Innenstadt und der Fällung der Bäume auf dem Gemeindeplatz sowie der gestoppte Abriss der Köbelhalle hätten immer nur durch die Mobilisierung der Proteste von Betroffenen und engagierten Bürgerinnen und Bürgern erreicht werden können.
Dagdelen führte dann aus ihren Erfahrungen im Bundestag eklatante Beispiele für die von ihr konstatierte "Krise der Demokratie" an. So wurde der 500 Milliarden Euro Bankenrettungsschirm ohne wirkliche Einflussmöglichkeit der Abgeordneten durch den Bundestag gepeitscht. Bankenvertreter schreiben ebenso die wesentlichen Texte der sie betreffenden Gesetze wie die Vertreter der Energiekonzerne. Obwohl 70% der Bevölkerung gegen den Bundeswehreinsatz im Afghanistankrieg sind, haben Abgeordnete aller Parteien außer der Linken im Bundestag gerade wieder der Verlängerung des Kriegseinsatzes zugestimmt. Auf europäischer Ebene waren für sie das Austricksen des Nein der französichen und niederländischen Bevölkerung gegen den Verfassungsvertrag und das Erpressen der irischen Bevölkerung bei der zweiten Abstimmung über den Lissabonvertrag ebensolche Beispiele.
Empört zeigte sich Sevim Dagdelen, dass die von ihrer Partei gerade durchgeführte Konferenz "Das andere Afghanistan" mit Vertreterinnen und Vertretern der zivilen, demokratischen Friedenskräfte in Afghanistan von den großen deutschen Medien vollständig ignoriert wurde. Offenbar wolle man sich die Pro-Kriegspropaganda nicht durch authentische Zeugnisse aus Afghanistan beeinträchtigen lassen.
All dies, ebenso wie die jahrzehntelange Stützung der autoritär-kapitalistischen Regime in Nordafrika im Interesse profitabler Wirtschaftsbeziehungen, lassen Dagdelen zu dem Schluss kommen, dass nur ein Eingriff in das kapitalistische Eigentum und die Verfügung über die entscheidenden Hebel wirtschaftlicher Macht wirkliche Demokratie ermöglicht. Dass die Linke mit entsprechenden Forderungen Rückhalt über ihre bisherigen Wählerinnen und Wähler hinaus finden würde, belegte sie mit mehreren Umfrageergebnissen.
Eine spannende Diskussion gab es über die Konzepte für ein allgemeines bedingungsloses Grundeinkommen. Hier traf die Skepsis von Dagdelen auf die Hoffnung einiger Teilnehmer, dass ein Grundeinkommen für alle bei entsprechender Ausstattung und Finanzierung die Position der abhängig Beschäftigten und Arbeitslosen gegenüber den Unternehmen stärken könnte.
Den Rüsselsheimer Linken empfahl Dagdelen auf eine entsprechende Frage, in der Diskussion über "Integration" darauf abzuheben, dass die entscheidenden Konfliktlinien entlang sozialer Unterschiede verlaufen. Ob man als Eltern das Geld für einen Kindergartenplatz oder als Studentin für ein teures wissenschaftliches Buch aufbringen könne, ob in einer Kommune kostenfreie soziale, kulturelle und Bildungsangebote bestehen, das seien die wichtigen Fragen, nicht woher jemand komme und welche Religion er habe oder nicht habe.
Mit Hinweisen von Sevim Dagdelen und Besuchern auf die Demonstrationen gegen die geplanten Naziaufmärsche am 13. und 19. Februar in Dresden ging die Veranstaltung zu Ende. Erfreut registrierte die Bundestagsabgeordnete, dass zwei Veranstaltungsteilnehmer einen Aufnahmeantrag für die Linke ausgefüllt hatten.
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