|  | Medienreflex  Dezember 2012:  Doppelreflex–                oder ein eingebetteter intellektueller Master of War  Rainer  Rilling von der Rosa-Luxemburg-Stiftung (http://www.rosalux.de) empfiehlt im sozialen Netzwerk Facebook die Lektüre des  Artikels „Europe Speaks German“ (=  Europa spricht Deutsch, eine Äußerung des Vorsitzenden der  CDU-Bundestagsfraktion Volker Kauder) des britischen Historikers Perry Anderson  in Le monde diplomatique (http://mondediplo.com/2012/12/03europe)  , vollständig in englisch nachzulesen auf http://www.zcommunications.org/europe-speaks-german-by-perry-anderson .
  Darin  reflektiert Anderson - anlässlich der Verleihung des  Friedensnobelpreises (nach Literaturnobelpreisträger Gabriel Garcia Marquez  treffender Kriegsnobelpreis genannt) an die EU - über den Narzissmus und die Eitelkeiten (vanities) der EU, ihrer Politiker  und ihrer (eingebetteten, organischen) Intellektuellen, kulminierend in ihrer  Darstellung der EU als Paradebeispiel der sozialen und politischen Entwicklung  zur Menschlichkeit (a paragon of social and political development to humanity). Als  Paradebeispiel dafür, dass diese Selbstzufriedenheit auch durch die  Krisenerscheinungen der letzten Jahre kaum angetastet wurde, stellt Anderson den Essay „Zur  Verfassung Europas“ von Jürgen Habermas (2011) vor. Noch  2008 hatte Habermas den Vertrag von Lissabon kritisiert, er würde die  existierenden Abgründe zwischen den politischen Eliten und den Bürgern  zementieren. Er verlangte ein eurapaweites Referendum, um soziale und  steuerliche Harmonisierung durchzusetzen und „eine Zukunft entlang der  orthodox-neoliberalen Linien“ zu verhindern. Anderson sagte damals voraus, dass  Habermas diese Forderungen nach dem Durchboxen des Lissaboner  Verfassungsvertrags still wegpacken würde („Habermas would no doubt quietly
 pocket it.“).
  Doch nun  muss er feststellen: “This was an underestimate. Not quietly pocketing but extravagantly  trumpeting the treaty,
 Habermas has now discovered that, far from cementing any chasm between  elites and citizens, it is no less than a charter for an unprecedented step  forward in human liberty (nichts geringeres als eine Charta für einen  vorbildlosen Schritt vorwärts zur menschlichen Freihheit), a refounding of European  sovereignty based on the EU’s citizens, not its states, and a luminous template  for a parliament of the world to come. The Europe of Lisbon, leading the way in  a “civilising process” that pacifies relations between states, confining the  use of force to punishment of those who violate human rights (den  Gewaltgebrauch limitierend auf die Bestrafung derjenigen, die Menschenrechte  verletzen), is blazing a trail from our indispensable - if still improvable -  “international community” of today to the “cosmopolitan community” of tomorrow  (bahnt den Weg von unserer … heutigen internationalen Gemeinschaft zu der  kosmopolitischen Gemeinschaft von morgen ..) , a Union embracing every last  soul on earth.
  Diese  Habermas’schen Behauptungen kamen mir so bekannt vor, dass ich folgende  Re-Reflexion auf einen anderen Habermas-Text für notwendig hielt:   * * * * * *  * * * *  Es ist ja  nicht etwa so, dass die von Perry Anderson dargestellte intellektuelle  Peinlichkeit der Habermasschen Positionen und Positionswechsel eine spezielle  Alterserscheinung der letzten Jahre wäre. Seine intellektuelle Selbstentblößung  hat Habermas spätestens mit seinem Jugoslawien-Krieg-Rechtfertigungs- und  Verklärungsartikel in der ZEIT vom 29.4.1999 geleistet. Durch  Fischer und Scharpings Berufung auf „die Idee einer menschenrechtlichen  Domestizierung des Naturzustandes zwischen den Staaten“ sah er damals „die  Transformation des Völkerrechts in ein Recht der Weltbürger auf der Agenda“.
 „Nach dem Scheitern der Verhandlungen von Rambouillet  führen sie (USA + EU) die angedrohte militärische Strafaktion gegen Jugoslawien  mit dem erklärten Ziel durch, liberale Regelungen für die Autonomie des Kosovo  innerhalb Serbiens durchzusetzen.“
  Aber natürlich grübelt so ein kritischer Geist auch  „Hätte die Nato die Zerstörung des staatlichen Rundfunks nicht eine halbe  Stunde vorher ankündigen sollen?“ ohne eine Antwort zu wagen. Denn als  großintellektueller Meisterdenker weiß man ja, dass man nichts sicher wissen  kann. Außer- denn „Jedes Kind, das auf der Flucht stirbt, zerrt an unseren  Nerven“ – dass „die Vertriebenentrecks auf den Routen nach Mazedonien, Montenegro  und Albanien die Evidenzen für eine (von Milosevic) von längerer Hand geplante  ethnische Säuberung liefern“. Und so trieb ihn wohl, wie auch Fischer und Scharping  „nur die Furcht (um), daß das politische Scheitern des militärischen Einsatzes  die Intervention in ein ganz anderes Licht rücken, gar das Projekt der  durchgreifenden Verrechtlichung zwischenstaatlicher Beziehungen auf Jahrzehnte  zurückwerfen könnte“.
                 * * * * * * * *  Nun, im Jahre 2012, kann Habermas also beruhigt und  furchtlos zurück- und vorausblicken. Über Jugoslawien, Afghanistan, Irak,  Kongo, Pakistan, Libyen, … bahnt der limitierte  Gewaltgebrauch unaufhaltsam (? http://www.youtube.com/watch?v=YRcb3-6ck7I ) den  Weg zur „kosmopolitischen Gemeinschaft“.  Ein ordinärer geistiger Master of War, diese  „Weltmacht Habermas“ (ZEIT, 10.6.2009).   * * * * Heinz-Jürgen Krug, 7.12.2012 * * * * *    |  |