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Antrag vom 17.06.2010:

Schulentwicklung in Rüsselsheim

Änderungsantrag zur Drucksache 461/06-11

Die Stadtverordnetenversammlung möge beschließen:

1. Das derzeit bestehende Schulangebot in Rüsselsheim ist durch eine erhebliche soziale und ethnische Selektivität gekennzeichnet. Im Rahmen der anstehenden Neuformulierung des Schulentwicklungsplanes muss diese Problematik bearbeitet und so weit wie möglich gelöst werden.

Begründung:
Rüsselsheim ist eine Stadt mit extrem hoher Kinderarmut, ca. ein Drittel aller Kinder leben an oder unter der Armutsgrenze. Dieses Problem ist darüber hinaus eng verwoben mit der hohen Anzahl von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund. Die Verteilung von Kindern und Jugendlichen auf die einzelnen Schulformen des gegliederten Schulsystems spiegelt die soziale Spaltung in der Stadt wieder und gefährdet den sozialen Zusammenhalt und das Ziel der Integration. Eine erfolgreiche Inklusion von Schüler/innen mit besonderem Förderbedarf ist vor diesem Hintergrund nicht denkbar.

2. Die Diskussion um die Schulentwicklung in Rüsselsheim wird von der Debatte um die Haushaltskonsolidierung entgekoppelt. Vor dem Hintergrund bestehender und zu erwartender Anforderungen an die Rüsselsheimer Schulen sind hier keine Einspareffekte zu erzielen. Sollte es innerhalb des Bereiches „Bildung“ zu Effizienzgewinnen kommen, so sind diese für Verbesserungen in Kindertagesstätten, Betreuungsschulen, Schulen und öffentlicher Weiterbildung zu nutzen.

Begründung:
Das deutsche Bildungswesen ist chronisch unterfinanziert. Das ehrgeizige und absolut notwendige Ziel einer bundesweiten Steigerung der Bildungsausgaben um 10% kann nur erreicht werden, wenn auch die kommunalen Schulträger ihren Beitrag dazu leisten. Die Diskussion über einen Beitrag des Bildungssektors zur Haushaltskonsolidierung ist daher abwegig und gefährdet die Qualität der Arbeit von Bildungseinrichtungen. Eine Verknüpfung von Schulentwicklungsplanung und Haushaltskonsolidierung belastet die Diskussionen um die Schulentwicklungsplanung, da der Generalverdacht, alle angedachten Maßnahmen dienten letztlich der Haushaltskonsolidierung; nicht von der Hand zu weisen ist. Schulentwicklungsplanung muss sich aber primär an pädagogischen und sozialen Prämissen orientieren.

3. Zur möglichen Zusammenführung von Ebert- und Parkschule und zur Entwicklung eines Rüsselsheimer Konzeptes „Inklusion und Integration“ wird eine Arbeitsgruppe gebildet, um gemeinsam mit dem Staatlichen Schulamt und den übrigen interessierten Kreisen, insbesondere dem Stadtschulelternbeirat, den Gewerkschaften der Lehrer und allen Rüsselsheimer Schulgemeinden Konzepte für die Weiterentwicklung des Schulangebots zu erstellen.
Sie soll in einem ergebnisoffenen Prozess die von der „Projektgruppe Bildung und Region“ entwickelten Vorschläge prüfen und ggf. zu tragfähigen Projekten  entwickeln. Es werden keine Maßnahmen gegen die Voten der Schulgemeinden ergriffen. Nach Abschluss der Meinungsbildung ermittelt der  Magistrat den zur Umsetzung erforderlichen Raum und Ausstattungsbedarf sowie die notwendigen baulichen Veränderungen. Erst zu diesem Zeitpunkt kann eine Finanzkalkulation erstellt werden.

Begründung:
In der vom Magistrat vorgelegten Fassung wird zwar von „möglichen“ Maßnahmen gesprochen, die Gesamtanlage der Beschlussvorlage lässt aber nur den Schluss zu, dass die Verwaltung bereits in die angegebene Richtung arbeiten soll. Somit werden Fakten geschaffen, die einen ergebnisoffenen Diskussionsprozess verhindern. Eine vorab Festlegung auf bestimmte inhaltliche oder räumliche Vorgaben ist abzulehnen. Insbesondere bei der vorgeschlagenen Schule der Sekundarstufe I ginge es um eine faktische Abschaffung der Hauptschule, die dann mit der Realschule zusammengelegt werden würde. Diese Schule könnte aber auch dazu führen, dass dadurch die Fluchtbewegung vor belasteten sozialen Milieus verstärkt würde. Zahlungskräftige Eltern könnten darauf mit einem Ausweichen auf Privatschulen oder Gymnasien außerhalb Rüsselsheims reagieren. Diese mögliche Folge würde die Abhängigkeit der Bildungschancen von der sozialen Herkunft verstärken.
Eine Verstärkung der Fluchtbewegung kann nur durch eine intensive Einbeziehung interessierter Eltern vermieden werden. Weiter müssen durch eine Verbesserung der Schulsozialarbeit die belasteten sozialen Milieus gefördert und so die Ursache der Fluchtbewegungen reduziert werden. Die dafür erforderliche Unterstützung des Landes wird nur auf der Basis belastbarer Daten erreichbar sein.
Insbesondere Eltern und Lehrer/innen  stehen unausgereiften Veränderungen der Schullandschaft kritisch gegenüber. Eltern befürchten, dass ihre Kinder zum Objekt von Experimenten gemacht werden und bei Misserfolg in ihren Zukunftsaussichten beeinträchtigt werden können. Die Eltern, die für ihre Kinder eine Alternative organisieren können, würden dann die als Experiment empfundene neue Schulform meiden.
Für die hessischen Lehrer/innen gilt die bundesweit höchste Arbeitszeit und es wird von ihnen in den kommenden Jahren um Zuge der Umstellung auf kompetenzorientierte Curricula eine erhebliche Mehrarbeit zukommen. Ihre Bereitschaft zur konstruktiven Mitarbeit wird im hohen Maße von der Plausibilität und demokratischen Legitimation der angedachten Veränderungen abhängen.

4. Die Stadtverordnetenversammlung beauftragt den Magistrat, je Schule und Jahrgangsstufe verlässliche Daten über die soziale Herkunft der Schülerinnen und Schüler, die Anteile mit Migrationshintergrund und die Anzahl der Wiederholer und Schulwechsler zu ermitteln.

Die Angaben zur sozialen Herkunft (Stellung der Eltern im Beruf – die jeweils höhere Stellung ist maßgebend) sollten sich gliedern nach:
- Empfänger von ALG II oder Sozialhilfe
- Arbeiter / Beamte einfacher Dienst
- Angestellte / Beamte mittlerer bis gehobener Dienst
- leitende Angestellte / Beamte im höheren Dienst
- Selbständige und Gewerbetreibende
Empfänger von ALG I sind der Gruppe (b bis d) zuzurechnen, der sie vor der Arbeitslosigkeit angehörten.
Die Angaben zum Migrationshintergrund sind zu gliedern nach Kindern mit
- nichtdeutscher Staatsangehörigkeit und Geburtsort im Ausland,
- nichtdeutscher Staatsangehörigkeit und Geburtsort im Inland,
- deutscher Staatsangehörigkeit und Geburtsort im Ausland,
- deutscher Staatsangehörigkeit und Geburtsort im Inland bei mindestens einem Elternteil mit Geburtsort im Ausland.
- deutscher Staatsangehörigkeit bei einem Elternteil mit Geburtsort im Ausland und dem anderen Elternteil ohne Migrationshintergrund (gemischtnationale Familien).
- deutscher Staatsangehörigkeit ohne Migrationshintergrund.
Die Angaben zu den Schulwechslern sind nach auf- und absteigendem Schulwechsel zu unterscheiden. Diese drei Gruppen (aufsteigende Schulwechsler, Wiederholer, absteigende Schulwechsler) sind nach dem Merkmalen mit/ohne Migrationshintergrund sowie soziale Herkunft der Gruppen a und b sowie c bis e zu unterscheiden.
Die Stadtverordnetenversammlung beauftragt den Magistrat weiter, eine Umfrage bei den Eltern der Kinder der zukünftigen fünften Klassen über die Gründe für die Schulwahl durchzuführen. Die Fragestellungen sind unter Einbeziehung des Stadtschulelternbeirats und der Lehrergewerkschaften zu erarbeiten. Bei der Durchführung der Untersuchung ist eine Zusammenarbeit mit Hochschulen aus der Region, z.B. im Rahmen eines Praxisprojekts Statistik, anzustreben.
Der Datenschutz ist zu gewährleisten.

Begründung:
Eine sinnvolle Schulentwicklung ist ohne Erkenntnisse über soziale Verhältnisse der Schüler, ohne eine kritische Auseinandersetzung mit dem „Run“ auf die Gymnasien und mögliche Abbrecherquoten und ohne eine Diskussion um Notwendigkeiten, die sich aus dem hohen Anteil von Schülern aus Einwandererfamilien ergeben, nicht möglich. Der von der „Projektgruppe Bildung und Region“ ermittelte Prozentsatz von nur 32 % von Grundschüler/innen mit Migrationshintergrund ist vor dem Hintergrund der Zahlen des „Kreismonitors Integration“ offensichtlich unrichtig.
Weil hier ohnehin nachgearbeitet werden muss, kann diese Arbeit auch mit der Erstellung einer insgesamt aussagefähigen Datenbasis verbunden werden. Es gibt nach Aussagen von Elternvertretern Gründe für die Vermutung, dass sich in den hohen Anmeldezahlen für die Gymnasien auch eine Fluchtbewegung vor belasteten sozialen Milieus manifestiert.
Bei einer Weiterentwicklung der Schullandschaft ist darauf zu achten, dass diese Fluchtbewegung gemildert und nicht verstärkt wird. Deshalb müssen Daten erhoben werden, die einerseits die belasteten sozialen Milieus und ihre derzeitige Verteilung auf die Schulen darstellen und andererseits ermitteln, in  welchen Umfang die Eltern hierauf mit einer Anmeldung ihrer Kinder für das Gymnasium reagieren.

 

 

   
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