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18.01.2024

Facebook-Kommentar von Heinz-Jürgen Krug

„Lokführerstreik: Friedrich Merz mischt sich ein“ [1] - „absurd, dumm und töricht“

Der Kampf um die Arbeitszeit, speziell die Länge des Arbeitstags war bereits in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein zentraler Punkt der Auseinandersetzungen zwischen Arbeit und Kapital. 1847 wurde in England zunächst für Frauen und 13- bis 18-Jährige der 10-Stundentag eingeführt (gegen den Widerstand der damaligen Wirtschaftsliberalen).

Karl Marx zitiert im „Kapital Band 1“ aus einem Bericht englischer Fabrikinspektoren von 1856 die Äußerung eines Fabrikherrn: „Wenn Sie mir erlauben täglich nur 10 Minuten Überzeit arbeiten zu lassen, stecken Sie jährlich 1000 Pfd. St. in meine Tasche“. Der so gesteigerte Profit der Fabrikherren ist gleichzeitig geraubte Lebenszeit der Arbeitenden. Denn wie der gleiche Karl Marx ausführt: „Aber freie Zeit, verfügbare Zeit, ist der Reichtum selbst, teils zum Genuss der Produkte, teils zur freien Tätigkeit, die nicht wie die Arbeit durch den Zwang eines äußeren Zwecks bestimmt ist, der erfüllt werden muss.“

In Deutschland wurde im November 1918, in der Situation, in der die Kapitalvertreter - und ihre politischen Unterstützer - die Fortsetzung der Revolution und ihre Enteignung befürchteten, der 8-Stundentag bei 6 Arbeitstagen also die 48-Stundenwoche gesetzlich verankert. Teilweise in der Weimarer Republik schon durchlöchert, wurde diese Grenze nach 1933 völlig eingerissen. Die Interessen von Kapital und Kriegsvorbereitung führten bereits vor dem Beginn des 2. Weltkriegs zur völligen Pulverisierung der Regelung. Und damit zu Zuständen die Rüdiger Hachtmann in seiner großen Studie „Industriearbeit im "Dritten Reich". Untersuchungen zu den Lohn- und Arbeitsbedingungen in Deutschland 1933-1945“ so zusammenfasste: „… daß ein großer Teil der in der metallverarbeitenden Industrie beschäftigten gelernten und angelernten Akkordarbeiter im letzten Vorkriegsjahr in vielen Fällen an die Grenzen ihrer physischen Leistungsfähigkeit gelangt war.“

Daran beteiligt war bei Opel in Rüsselsheim Heinrich Nordhoff, der dann in Kriegszeiten in den Vorstand aufrückte und im Juni 1942 als Wehrwirtschaftsführer Betriebsleiter des kriegswichtigen LKW-Werks Brandenburg wurde. Für die dort schuftenden Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter spielten selbst die „Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit“ keine Rolle mehr. Zumal in Nordhoffs Worten das Brandenburger Werk seinen Beitrag zum Sieg zu leisten habe, der „ebenso wie an der Front auch in den Betrieben der Rüstungsindustrie erkämpft und gewonnen werden muß“.
Ab 1948 war Nordhoff dann bei VW in Wolfsburg zunächst Generaldirektor der GmbH und ab 1960 Vorstandsvorsitzender der AG.

Und als die Gewerkschaften ab 1956 mit dem Slogan “Samstag gehört Vati mir“ für den Übergang zur 40-Stundenwoche kämpften, fand Nordhoff das als fabrikherrlicher Generaldirektor und Wirtschaftsführer zwar garnicht profitfördernd und sinnvoll. Aber die Zeiten hatten sie ja geändert, also machte er sich demonstrativ Sorgen um die mit dem freien Samstag drohende Sinnkrise der Arbeitenden: „… ein freier Samstag wäre … für viele auch ein Fluch. Die meisten Menschen leben ohnehin auf der Flucht vor sich selbst. Ihnen wäre ein fehlender Arbeitstag kein Segen, sondern die Leere würde noch vergrößert.“ was die mit dem „Reichtum selbst“ (s.o.) sinnvolles anfangen könnten …
Ähnlich fürsorgliche Sorgen vor dem „horror vacui“ bei denen da unten „draußen im Lande“ trieben dann wohl Helmut Kohl Ende 1983 um, als er die Forderungen der IG Metall zur 35-Stunden-Woche als „absurd, dumm und töricht“ bezeichnete.

Dass die Gewerkschaft der Lokführer GDL sich 40 Jahre später erfrecht, für dieses Ziel der 35-Stundenwoche das Streikrecht wahrzunehmen, trieb nun seinen politischen „Enkel“ Friedrich Merz vors Interviewmikrofon. Tarifautonomie sei zwar ein wichtiges Gut, aber der Arbeitskampf sei außer Kontrolle geraten und da müsse der Staat jetzt eingreifen. Denn „Dieses Land braucht keine Arbeitszeitverkürzung, sondern wir benötigen mehr Anstrengung“.

Dass man sich, zeitweise parallel zu einem Bundestagsmandat, tatsächlich schwer anstrengen kann, bewies er durch die Partnerschaft in einer Rechtsanwaltskanzlei und dem Sitzen in einem guten Dutzend Aufsichts- und Verwaltungsräten. Und zusätzlich konnte er 2010/2011 noch für ein Tageshonorar von 5000,- Euro (von dem bundeseigenen Bankenrettungsfonds) sich über ein Jahr erfolglos, wenn auch natürlich angestrengt, um den Verkauf der WestLB bemühen. Und das nach dem Motto „auch Samstags und Sontags gehören die 5000,- Euro dem Vati Friedrich“.

Und das alles, inklusive ca. 1 Mio Jahreseinkommen und Privatflugzeug, schaffte er völlig ohne gewerkschaftliche Unterstützung. Da sollten sich die Jammer-Lokführer von der GDL mal ein Beispiel dran nehmen.

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Einige benutzte Quellen zum Nachprüfen und auch Weiterlesen:
[1] Main-Spitze vom 12.1.2024
MEW Bd 23 ( = Das Kapital Band I, S. 315 „Der Arbeitstag“)
Wikipedia-Artikel zu
8-Stunden-Tag
40-Stundenwoche
Friedrich Merz
WestLB

https://www.igmetall.de/.../der-kampf-um-die-35-stunden...
https://www.fes.de/adsd50/streiknachrichten
https://www.betriebsrat-bim.at/.../arbeitszeit-geschichte/
“Work-Work-Balance” Ingo Stützle (Hrsg.) Dietz Berlin 2020, Einleitung hier digital: https://www.freitag.de/.../work-work-balance/work_leseprobe
Rüdiger Hachtmann: Industriearbeit im "Dritten Reich". Untersuchungen zu den Lohn- und Arbeitsbedingungen in Deutschland 1933-1945 (vollständig digitalisiert dort zum Download: https://zeitgeschichte-digital.de/.../hachtmann...
In der Stadtbücherei Rüsselsheim ausleihbar:
Heyl/Neugebauer (Hrsg.): Opel zwischen Weltwirtschaftskrise und Wiederaufbau
Günter Neliba: Die Opel-Werke im Konzern von General Motors (1929-1948)
Peter Schirmbeck (Hg.): „Morgen kommst du nach Amerika“ – Erinnerungen an die Arbeit bei Opel 1917-1987
Bernd Waltje: Arbeitszeitverkürzung! Eine Utopie? (in Ossietzky 1/2024): https://www.ossietzky.net/.../arbeitszeitverkuerzung.../
Zu aktuellen (hier Stand 2020) gewerkschaftlichen Debatten und Praktiken: https://www.rosalux.de/dokum.../id/41718/arbeit-zeit-politik

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