Medienreflex Juni 2015:
Die Legende von der Legende von
Kapitalismus und Faschismus
Fundsache auf der Website des gemeinsamen „Online-Museums“
der Stiftung Deutsches
Historisches Museum, der Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland
und des Bundesarchivs unter
https://www.dhm.de/lemo/bestand/objekt/d2z02541
Titelbild der Arbeiter Illustrierten Zeitung (AIZ) Nr. 42 (1932)
Berlin, 16. Oktober 1932
47 x 31,4 cm
Deutsches Historisches Museum, Berlin
Inv.-Nr.: Do 57/27.6
Der Kommunist Heartfield war durch seine politischen Collagen bekannt. Hitlers politischer Aufstieg durch Gelder von Industriellen entsprach kommunistischer Ideologie, war aber genau genommen eine Legende.
------------------------- Selbstbeschreibung von LeMO ----------------------
LeMO – Lebendiges Museum Online ist das Online-Portal zur deutschen Geschichte. Objekte, Texte, Medien, Zeitzeugenberichte und Dokumente laden ein, zu entdecken, zu recherchieren und sich zu informieren. LeMO richtet sich an eine breite Zielgruppe, an Jugendliche und Senioren, an Schüler und Lehrer, an alle Geschichtsinteressierten.
LeMO ist ein Kooperationsprojekt der Stiftung Deutsches Historisches Museum, der Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland und des Bundesarchivs. Die drei Bundesinstitutionen stellen der Öffentlichkeit damit Materialien und Wissen kostenlos zur Verfügung.
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Bei der Nachbereitung der AG zum Stichwort „Mitteleuropakonzepte“ bei der Tagung zum Historisch-Kritischen Wörterbuch des Marxismus und der Vorbereitung der Veranstaltung „70 Jahre Ende Zweiter Weltkrieg – 70 Jahre Befreiung“ in Rüsselsheim, bei der wir – selbstverständlich – auch auf die Vorgeschichte von Krieg und Faschismus eingegangen sind, fiel mir das oben abgebildete Produkt des „LeMO“ auf. Die Entlarvung einer von Heartfield verbreiteten kommunistisch-ideologischen Legende?
Zunächst ging es bei Heartfields Montage nicht nur, noch nicht mal hauptsächlich, um die Darstellung und Kritik der Rolle von Industriellen (eigentlich Industrielle, Bankiers, Großgrundbesitzer) bei der Finanzierung von Hitler/der NSDAP, sondern umgekehrt um die Darstellung der Rolle der NSDAP/Hitlers als sich als Interessen-vertreter des Kapitals anbietende und dafür um „große Gaben“ bittende „Bewegung“. Die Montage wurde als Titelbild der AIZ im Oktober 1932 veröffentlicht, also mitten im Wahlkampf zu den Reichstagswahlen am 6. November. Und es ging der AIZ und Heartfield offenbar darum, die „werktätigen Anhängermassen“ (so ebenfalls im Oktober 1932 die Resolution einer Parteikonferenz der KPD) der Nazis, die bei den Juli-Wahlen mit dafür gesorgt hatten, dass die NSDAP mit 37,3% mehr Stimmen erhielt als SPD und KPD zusammen, von der Wiederholung einer solchen Wahlentscheidung abzubringen.
Dass die NSDAP dann tatsächlich 2 Millionen Stimmen verlor, lag natürlich nicht nur an Heartfields Montage.
Und dass entscheidende Teile von Industrie- und Bankkapital, Großgrundbesitz, Militärführung von Beginn der Weimarer Republik an auf deren Zerstörung und Ersetzung durch ein ungehindert von demokratischen, parlamentarischen und gewerkschaftlichen „Störungen“ in ihrem Interesse agierendes diktatorisches Regime mit Geld und guten Worten hinarbeiteten, ist keine kommunistische Legende, sondern gut belegte Tatsache. Um nur einige Beispiele zu nennen:
Am 10. Januar 1919 fand in Berlin, organisiert von Paul Mankiewitz, Direktor der Deutschen Bank, ein Treffen von etwa 50 Wirtschaftsführern (u.a Stinnes, Siemens, Borsig, Vögler) statt, dass für die „Antibolschewistische Liga“ von Eduard Stadtler 500 Millionen Mark (Angabe Stadtler, der Historiker Gerald Feldman schätzte den Betrag auf „nur“ 250 Millionen) erbrachte. 5 Tage später wurden Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht von der Truppe von Major Pabst (nach Stadtlers Behauptung von ihm mit animiert) ermordet.
Zeitlich parallel galt das am 15. November 1918 zwischen Großindustrie (unter Leitung von Hugo Stinnes) und Gewerkschaften abgeschlossene „Arbeitsgemeinschaftsabkommen“, dass Kollektivvereinbarungen verankerte und den 8-Stunden-Arbeitstag als Regel einführte. Also Beachtung der aktuellen Kräfteverhältnisse und der Versuch, diese mit allen Mitteln zu verändern, haben sich natürlich nicht ausgeschlossen.
Im März 1920 war Pabst dann einer der Hauptorganisatoren des nach 4 Tagen wesentlich am Generalstreik scheiternden Lüttwitz/Kapp-Putsches. Der wiederum u.a. durch Großbanken, MAN, Gutehoffnungshütte, Krupp. Stinnes und Großagrarier finanziert wurde. Verbindungsmann Kapps nach Süddeutschland war übrigens Adolf Hitler.
Beim Ludendorff-Hitler-Putsch 1923 waren es dann im wesentlichen nur noch Fritz Thyssen und Stinnes, die die Putschvorbereitungen finanzierten.
In den Aufschwungjahren 1924 bis 1928 konzentrierte sich die Förderung und Zusammenarbeit der Schwerindustrie im wesentlichen auf DVP und DNVP. während Chemie- und Elektroindustrie auch die Zusammenarbeit und Kompromisse mit Zentrum, SPD und Gewerkschaften suchte (und fand).
Allerdings gab es auch in diesen Jahren immer wieder Druck aus Kapitalkreisen zur Revision der kompromissbehafteten Weimarer Verfassung bzw. mindestens der stärkeren Nutzung ihrer autoritären/diktatorischen Elemente.
1926/27 tingelten Hitler und andere Repräsentanten der NSDAP durch verschiedene Kapitalistenclubs, wo sie immer wieder gerne eingeladen und beklatscht wurden, ohne allerdings bereits als Hauptkraft im Kampf gegen die unverschämten Ansprüche der Arbeiterschaft und den „Marxismus“ gesehen zu werden – was Spenden und politische Unterstützung durch maßgebliche Vertreter des Großkapitals wie Emil Kirdorf (Vereinigte Stahlwerke) nicht ausschloss.
Erst als nach Beginn der Weltwirtschaftskrise und mit den Wahlen 1930 klar wurde, dass der Versuch „auf irgendwelchen Wegen die Arbeiterschaft vor unseren Karren zu spannen“ (Paul Silverberg, stellvertr. Vorsitzender des Reichsverbands der Industrie im November 1927) mit den bisherigen Mitteln und Parteien nicht mehr gelingen konnte, erfolgte die politische und finanzielle Förderung der Nazis wieder auf breiterer Basis – trotz der Bedenken einiger Kapitalrepräsentanten wegen der teilweise antikapitalistischen Propagandaparolen der Nazis.
So nahm Albert Vögler (Vorstandsvorsitzender der Vereinigten Stahlwerke), der 1923 die NSDAP schon einmal finanziell unterstützt hatte, sich dann aber an der Finanzierung der „bürgerlichen“ Parteien (von DDP bis DNVP) beteiligte, ab 1931 die Spenden an die NSDAP wieder auf.
Auch bereits im Juli 1931 forderte die „Wirtschaftspolitische Vereinigung Frankfurt am Main“ in einer Eingabe den Reichspräsidenten Hindenburg auf, der NSDAP die Regierung zu übertragen (unterzeichnet u.a von Walter Dyckerhoff, Emil Gutbrod/Chemie, Dr. Geisow/IG Farben, Dr. Traupel/Krupp).
Auch Hjalmar Schacht, Reichsbankpräsident bis März 1930 unterstützte die Nazis nach – durch den Deutsche Bank-Vorstand Emil Georg von Stauß vermittelten – Gesprächen mit Göring, Goebbels und Hitler seit Anfang 1931.
Im Januar 1932 folgte Hitlers Rede vor ca. 650 Industriellen im Düsseldorfer Industrieclub (gemäß den Memoiren des Teilnehmers Paul Kleinewefers gab es am Ende „ungehemmten Dauerbeifall).
Nach der für die Nazis verlustreichen Novemberwahl 1932 forderten 20 Industrielle, Bankiers und Großagrarier Hindenburg auf, Hitler zum Reichskanzler zu ernennen, was dann, nach der knapp zweimonatigen Kanzlerschaft des Generals von Schleicher und nach dem Treffen am 4. Januar zwischen Hitler und von Papen im Haus des Bankiers Kurt von Schröder am 30. Januar 1933 schließlich geschah.
Am 20. Februar 1933 waren dann (fast) alle (von Schacht über Krupp, Flick, Vögler, von Finck, Quandt, bis zu Fritz Opel; siehe http://de.wikipedia.org/wiki/Geheimtreffen_vom_20._Februar_1933) bei Hitler und Göring, hörten deren Garantie für ihr Privateigentum und von den leeren Kassen der NSDAP und beschlossen, sie mit 3 Millionen Reichsmark für deren Wahlkampf (und den der DNVP-Kampffront Schwarz-Weiß-Rot) zu die Märzwahlen aufzufüllen. Währenddessen wütete der Terror, füllten sich die ersten KZs.
„… genau genommen eine Legende“
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Warum schreibt die Troika der Bundesinstitutionen sowas? Offenbar muss in einem Staat, dessen Führung(en) in „Verteidigungspolitischen Richtlinien“ und Weißbüchern diesen ihren Staat seit 1992 offiziell als "kontinentale Mittelmacht mit weltweiten Interessen" definieren, einen „erweiterten Sicherheitsbegriff“ vertreten, bei dem auch das Militär für die exportorientierte Wirtschaft den ungehinderten Zugangs zu Märkten und Rohstoffen in aller Welt sichern soll, der historisch-ideologische Rücken für diese Ziele und „Aktionen“ freigehalten werden. Daher der geradezu ohrenbetäubende Jubel über Christopher Clarks schlafwandlerisch sicheren Exkulpationsversuch in Bezug auf den deutschen Griff zur Weltmacht mit dem Ersten Weltkrieg, daher wohl auch die Legende von der kommunistischen Legende von Kapitalismus und Faschismus.
Heinz-Jürgen Krug