Medienreflex Juni 2019:
Jürgen Habermas wird am nächsten Dienstag 90 Jahre alt. Aus diesem Anlass widmet Die ZEIT (https://epaper.zeit.de/download/887803?appendPdfId=887805) ihrem Autor – „der berühmteste lebende Philosoph“ (ZEIT 2019), „die Weltmacht Habermas“ (ZEIT 2009), „Ein genialer Typ“ (ZEIT 2019) – neun Seiten mit ca. 25 Autoren.
Da der leitende Artikel von Alexander Cammann autoritativ deklariert: „Die deutschen Linken sind bis heute im Sog seiner Autorität“ (2019), können meine Kritikastereien (unten durch die Jahre von 2012 über 1999 bis 2019 mäandernd) wohl nur der untaugliche Versuch sein, mich aus dem Sog zu befreien:
# # # # # # # #
Medienreflex Dezember 2012:
Doppelreflex– oder ein eingebetteter intellektueller Master of War
Rainer Rilling von der Rosa-Luxemburg-Stiftung (http://www.rosalux.de) empfiehlt im sozialen Netzwerk Facebook die Lektüre des Artikels „Europe Speaks German“
(= Europa spricht Deutsch, eine Äußerung des Vorsitzenden der CDU-Bundestagsfraktion Volker Kauder) des britischen Historikers Perry Anderson in Le monde diplomatique (http://mondediplo.com/2012/12/03europe) , vollständig in englisch nachzulesen auf http://www.zcommunications.org/europe-speaks-german-by-perry-anderson .
Darin reflektiert Anderson - anlässlich der Verleihung des Friedensnobelpreises (nach Literaturnobelpreisträger Gabriel Garcia Marquez treffender Kriegsnobelpreis genannt) an die EU - über den Narzissmus und die Eitelkeiten (vanities) der EU, ihrer Politiker und ihrer (eingebetteten, organischen) Intellektuellen, kulminierend in ihrer Darstellung der EU als Paradebeispiel der sozialen und politischen Entwicklung zur Menschlichkeit (a paragon of social and political development to humanity).
Als Paradebeispiel dafür, dass diese Selbstzufriedenheit auch durch die Krisenerscheinungen der letzten Jahre kaum angetastet wurde, stellt Anderson den Essay „Zur Verfassung Europas“ von Jürgen Habermas (2011) vor. Noch 2008 hatte Habermas den Vertrag von Lissabon kritisiert, er würde die existierenden Abgründe zwischen den politischen Eliten und den Bürgern zementieren. Er verlangte ein eurapaweites Referendum, um soziale und steuerliche Harmonisierung durchzusetzen und „eine Zukunft entlang der orthodox-neoliberalen Linien“ zu verhindern. Anderson sagte damals voraus, dass Habermas diese Forderungen nach dem Durchboxen des Lissaboner Verfassungsvertrags still wegpacken würde („Habermas would no doubt quietly pocket it.“).
Doch nun muss er feststellen:
“This was an underestimate. Not quietly pocketing but extravagantly trumpeting the treaty,
Habermas has now discovered that, far from cementing any chasm between elites and citizens, it is no less than a charter for an unprecedented step forward in human liberty (nichts geringeres als eine Charta für einen vorbildlosen Schritt vorwärts zur menschlichen Freihheit), a refounding of European sovereignty based on the EU’s citizens, not its states, and a luminous template for a parliament of the world to come. The Europe of Lisbon, leading the way in a “civilising process” that pacifies relations between states, confining the use of force to punishment of those who violate human rights (den Gewaltgebrauch limitierend auf die Bestrafung derjenigen, die Menschenrechte verletzen), is blazing a trail from our indispensable - if still improvable - “international community” of today to the “cosmopolitan community” of tomorrow (bahnt den Weg von unserer … heutigen internationalen Gemeinschaft zu der kosmopolitischen Gemeinschaft von morgen ..) , a Union embracing every last soul on earth.
Diese Habermas’schen Behauptungen kamen mir so bekannt vor, dass ich folgende Re-Reflexion auf einen anderen Habermas-Text für notwendig hielt:
* * * * * * * * * *
Es ist ja nicht etwa so, dass die von Perry Anderson dargestellte intellektuelle Peinlichkeit der Habermasschen Positionen und Positionswechsel eine spezielle Alterserscheinung der letzten Jahre wäre. Seine intellektuelle Selbstentblößung hat Habermas spätestens mit seinem Jugoslawien-Krieg-Rechtfertigungs- und Verklärungsartikel in der ZEIT vom 29.4.1999 geleistet.
Durch Fischer und Scharpings Berufung auf „die Idee einer menschenrechtlichen Domestizierung des Naturzustandes zwischen den Staaten“ sah er damals „die Transformation des Völkerrechts in ein Recht der Weltbürger auf der Agenda“.
„Nach dem Scheitern der Verhandlungen von Rambouillet führen sie (USA + EU) die angedrohte militärische Strafaktion gegen Jugoslawien mit dem erklärten Ziel durch, liberale Regelungen für die Autonomie des Kosovo innerhalb Serbiens durchzusetzen.“
Aber natürlich grübelt so ein kritischer Geist auch „Hätte die Nato die Zerstörung des staatlichen Rundfunks nicht eine halbe Stunde vorher ankündigen sollen?“ ohne eine Antwort zu wagen. Denn als großintellektueller Meisterdenker weiß man ja, dass man nichts sicher wissen kann. Außer- denn „Jedes Kind, das auf der Flucht stirbt, zerrt an unseren Nerven“ – dass „die Vertriebenentrecks auf den Routen nach Mazedonien, Montenegro und Albanien die Evidenzen für eine (von Milosevic) von längerer Hand geplante ethnische Säuberung liefern“.
Und so trieb ihn wohl, wie auch Fischer und Scharping „nur die Furcht (um), daß das politische Scheitern des militärischen Einsatzes die Intervention in ein ganz anderes Licht rücken, gar das Projekt der durchgreifenden Verrechtlichung zwischenstaatlicher Beziehungen auf Jahrzehnte zurückwerfen könnte“.
* * * * * * * *
Nun, im Jahre 2012, kann Habermas also beruhigt und furchtlos zurück- und vorausblicken. Über Jugoslawien, Afghanistan, Irak, Kongo, Pakistan, Libyen, … bahnt der limitierte Gewaltgebrauch unaufhaltsam (? http://www.youtube.com/watch?v=YRcb3-6ck7I ) den Weg zur „kosmopolitischen Gemeinschaft“.
Ein ordinärer geistiger Master of War, diese „Weltmacht Habermas“ (ZEIT, 10.6.2009).
* * * * Heinz-Jürgen Krug, 7.12.2012 * * * * *
Im Dezember 2018 veröffentlichten die von Habermas mitherausgegebenen „Blätter für deutsche und internationale Politik“ das ->Manuskript seiner Rede auf der Konferenz „Neue Perspektiven für Europa“, veranstaltet vom Kolleg Humanwissenschaften der Goethe-Universität Frankfurt in Bad Homburg am 21. September 2018 unter der Überschrift „Wo bleibt die proeuropäische Linke?“
Daraus darf ich entnehmen, wie ich Linker mich zum von Habermas zertifizierten Pro-Europäer entwickeln kann.
Habermas: „So beschwören heute vor allem die liberalen politischen Eliten lauter als bisher Fortschritte in der europäischen Kooperation vor allem in drei Hinsichten: Mit dem Stichwort einer europäischen Außen- und Verteidigungspolitik fordern sie eine Stärkung der militärischen Selbstbehauptungsfähigkeit, die es Europa erlaubt, „aus dem Schatten der USA herauszutreten“; mit dem Stichwort einer gemeinsamen europäischen Asylpolitik fordern sie ferner einen robusten Schutz der europäischen Außengrenzen und die Errichtung zweifelhafter Auffanglager in Nordafrika; und mit dem Stichwort „Freihandel“ verfolgen sie eine gemeinsame europäische Außenhandelspolitik in den Brexit-Verhandlungen sowie die Verteidigung des bestehenden Welthandelsregimes in den Verhandlungen mit Trump. Man wird sehen, ob die Europäische Kommission, die diese Verhandlungen führt, Erfolg hat – und ob nicht im Falle des Scheiterns die Gemeinsamkeit der europäischen Regierungen zerbröckeln wird. Das ist die eine, die ermutigende Seite.“
Aber leider muss Habermas konstatieren:
„Es gibt keine proeuropäische Linke, die sich für den Ausbau einer global handlungsfähigen Euro-Union einsetzt und dabei auch die weitergehenden Ziele einer über Schäubles Deklamationen hinausgehenden Bekämpfung der Steuerflucht, einer Transaktionssteuer und einer wesentlich strengeren Regulierung der Finanzmärkte im Auge hat.“
Na toll, wenigstens darf ich im Austausch für meinen „pro-europäischen“ Einsatz für Militarisierung, Festungsausbau und Paralleljustiz weitergehend eine Transaktionssteuer etc im Auge behalten
# # # # # # # # #
Herr Krug, wo bleibt das Positive:
Das liefert z.B. Hartmut Rosa in der aktuellen ZEIT:
* * * * * * * *
„Zum Habermasianer wurde ich aber erst während des Irak-Krieges, als mir bewusst wurde,
wie politisch wichtig sein Insistieren auf die diskursive Prüfung der drei Geltungsansprüche Wahrheit, Richtigkeit und Wahrhaftigkeit bei jeder Ausübung von Gewalt ist:
Stimmt es, dass der Irak Massenvernichtungswaffen produziert?
Gibt uns dies das Recht, dort einzumarschieren?
Und geht es wirklich um Massenvernichtungswaffen und Menschenrechte – oder um geostrategische Interessen? Diese scheinbar so einfachen und offensichtlichen Fragen schufen unbestechliche Klarheit und stifteten Orientierung in einem öffentlichen Diskurs, der von Propaganda, Ideologie und zum Teil von Demagogie beherrscht wurde.
* * * Ende Ausschnitt Hartmut Rosa * * * * *
Ich werde Hartmut Rosa mal fragen, ob er sich nicht fragt, warum Habermas auf diesen diskursiven Fragen erst 2003, beim offiziell von der deutschen Regierung nicht mitgetragenen Krieg gegen den Irak insistierte und nicht schon 1999, beim von der deutschen Regierung mit-initiierten Krieg gegen Jugoslawien.
Irgendwie (aus linker, bestimmt sog-beeinflusster Sicht) positiv auch sein Text in der SZ vom Juni 2015 „Warum Merkels Griechenland-Politik ein Fehler ist“ (nun ja, es war nicht Merkel allein), in dem er „gegen das ebenso erniedrigende wie niederdrückende soziale Elend einer dem Land oktroyierten Sparpolitik“ … gegen „die barbarischen Kosten in Griechenland“, gegen die (Amartya Sen zustimmend) „von der deutschen Bundesregierung durchgesetzte Sparpolitik … (als einer) toxischen Mischung aus Antibiotika und Rattengift“ Stellung nahm.
Allerdings könnte frau/man auf der Frage insistieren, ob das Zusammenschrumpfen von soziale Barbarei implizierendem Rattengift zur Formulierung dass sich in Südeuropa „die ‚Verlierer‘ ungerecht behandelt fühlen“ (bei der Rede im September 2018) daran liegt, dass die Zwangsverabreichung der toxischen Mischung 2015 unmittelbar das Ansehen und die Legitimation der deutschen Regierungspolitik bedrohten.
Und auf diese Legitimation kommt es bei Habermas immer wieder und kam es auch angesichts der „militärischen Strafaktion“ 1999 an. Habermas „Tatsächlich haben die ‚chirurgische Präzision‘ der Luftangriffe und die programmatische Schonung der Zivilisten einen hohen legitimatorischen Stellenwert.“
Angesichts all dessen könnte frau/man auf der Frage insistieren, ob die von Horkheimer (gegen Adorno) wegen Marxismus-Verdacht (er leiste »den Geschäften der Herren im Osten Vorschub« ) durchgesetzte Entlassung (»die Aufhebung der bestehenden Lage«) als Assistent beim Institut für Sozialforschung und die (einige Jahrzehnte später erfolgte) Denunziation durch Peter Sloterdijk als »Starnberger Ajatollah«, der »Fatwas« ausspreche nicht deutlich mehr über Horkheimers Haltung und Sloterdijks Niveau aussagen, als über den Jubilar. Beides erwähnt im ruhig-positiven Text von -> Rudolf Walther in „Neue Gesellschaft – Frankfurter Hefte“